Hintergrund

Kopierschutz: Der ewige Kampf der Musikindustrie

David Lee
15.3.2022

Egal, ob Audio-Kassette, DAT, gebrannte CDs oder digitale Downloads: Die Musikindustrie hat jede Technologie bekämpft, mit der sich Musik aufzeichnen oder kopieren lässt. Teils mit fragwürdigen Methoden. Mit dem Streaming hat sich vieles verändert – aber nicht alles.

Bis in die Siebzigerjahre ist die Welt der Musikindustrie in Ordnung. Musik wird auf Schallplatten gepresst. Andere Tonträger spielen praktisch keine Rolle. Die Vinyl-Tonträger sind für die Plattenfirmen billig herzustellen, für Privatleute jedoch unmöglich zu kopieren.

Dies ändert sich mit dem Magnetband, das in Form von Spulentonbändern, Audio- und Videokassetten seinen Weg in die Wohnungen findet. Mit Magnetband ist nicht nur das Abspielen, sondern auch das Aufzeichnen möglich. Damit beginnt ein langer Kampf zwischen denen, die Musik kaufen (oder auch nicht), und denen, die sie verkaufen.

Audio-Kassetten: Die Moralkeule

Zunächst ist die Lage nicht besonders dramatisch. Bandmaschinen mit hoher Soundqualität sind teuer und vornehmlich in Studios zu finden. Die Kompaktkassette wird zwar bereits 1963 erfunden, liefert jedoch lange Zeit eine schlechte Tonqualität. Kassettenrekorder werden vor allem als Diktiergerät angesehen.

Doch in den Siebzigerjahren steigert sich die Soundqualität, unter anderem durch rauschärmeres Bandmaterial und die Dolby-Rauschunterdrückung. Vor allem aber dadurch, dass sich japanische Hifi-Konzerne einen Qualitätswettbewerb liefern. Ein Kassettenrekorder ist nun definitiv mehr als ein Diktiergerät. Zudem wird die Kassette mit dem Walkman in den Achtzigerjahren zum ersten Tonträger, der sich portabel verwenden lässt.

Der Verband der britischen Musikindustrie BPI befindet, dass es an der Zeit ist, zu handeln. Er lanciert 1980 eine Kampagne mit dem Slogan «Home Taping Is Killing Music». Das Logo zeigt einen Totenschädel in Form einer Kassette. Dies sollte den Leuten ins Gewissen reden.

Digital Audio Tape (DAT)

Doch die Markteinführung verzögert sich. Nicht etwa, weil die Technologie nicht ausgereift wäre. Im Gegenteil: DAT ist zu gut. Die hohe Qualität der Aufnahmen versetzt die Musikindustrie in helle Aufruhr. Die RIAA, also der amerikanische Verband der Musikindustrie, will die Einführung der «gefährlichen» Technologie unter allen Umständen verhindern – und erklärt Japan den Krieg.

Das alles führt dazu, dass DAT mehr oder weniger eine Totgeburt ist. Mit einer Ausnahme: Die Musikindustrie selbst benutzt DAT oft und gern. In den Studios werden die digitalen Tapes für den finalen Mix verwendet.

MiniDisc

Vermutlich ist DAT nicht bloss am Widerstand der Musikindustrie gescheitert. Die Technologie ist komplex, teuer und schiesst für viele Privatpersonen übers Ziel hinaus, da sie keine Studio-Tonqualität brauchen. Für diese Leute entwickelt Sony die MiniDisc, die 1992 auf den Markt kommt. Sie hat ein stark komprimiertes Format, dessen Tonqualität zumindest am Anfang der CD hörbar unterlegen ist.

In der Folge müssen auch MiniDisc-Geräte den Kopierschutz SCMS implementieren. Zudem verpflichtet der AHRA die Hersteller zu Lizenzabgaben – sowohl für die Geräte als auch für die Medien. Trotz dieser ausgehandelten Vorteile wollen die amerikanischen Plattenfirmen ihre Musik nicht auf MiniDisc herausbringen. Sony BMG bleibt das einzige grosse Label, das vorbespielte MiniDiscs aktiv unterstützt.

CD

Der Erfolg der MiniDisc bleibt relativ bescheiden, auch weil schon kurze Zeit nach ihrer Erfindung interessantere Alternativen entstehen. Gegen Ende der Neunzigerjahre werden CD-Brenner erschwinglich und es wird zusehends einfacher, Audio-CDs selbst zu erstellen. Die Tage der CD als reines Abspielmedium sind gezählt.

Die Industrie bastelt also eifrig an neuen Kopierschutzverfahren. Und versagt komplett.

Übrigens verletzt die Kopierschutz-Software selbst das Urheberrecht, indem sie Open-Source-Komponenten enthält, ohne sich an deren Lizenzbestimmungen zu halten. Aber das ist nur noch eine Randnotiz in diesem Skandal.

Es gibt weitere Kopierschutzverfahren mit ähnlicher Funktionsweise. Der Youtuber VWestlife hat einige davon durchgetestet. Ergebnis: Sie sind nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sie taugen auch als Kopierschutz nichts.

Die Kopierschutzverfahren für CDs sind eine Zumutung für die Kunden. Entsprechend kurz währt ihr Dasein, es gibt sie nur von 2005 bis 2007. Aber die Frage bleibt: Was ist bloss in die Musikindustrie gefahren? Wie konnte es dazu kommen?

Das Ganze ist nur verständlich vor dem Hintergrund einer weiteren technischen Entwicklung: dem File Sharing.

File Sharing

Das Kopieren von CDs alleine wäre für die Musikindustrie wohl zu verschmerzen gewesen. Aber fast gleichzeitig mit dem CD-Brenner etablieren sich zwei andere Erfindungen: MP3 und dieses merkwürdige Ding namens Internet. Die Kombination dieser Faktoren verändert den Musikmarkt stark.

Wird Musik als MP3 gespeichert, reduziert sich der Platzbedarf gegenüber unkomprimiertem Audio enorm. Die Files werden so klein, dass Alben in riesiger Zahl auf der Festplatte gespeichert werden können. Und sie sind auch so klein, dass sie sich mit ein wenig Geduld übers Internet verschicken lassen.

1999 geht Napster online, eine Software zum Austausch von Dateien – entwickelt von einem Teenager. Napster arbeitet mit einem dezentralen Peer-to-Peer-Netz, bei dem alle User sowohl hoch- als auch herunterladen. Es ist das perfekte Tool für die unkontrollierte Verbreitung von Musik. Innert kurzer Zeit erreicht die Tauschbörse Millionen von Usern, und zahlreiche ähnliche Tools schiessen aus dem Boden.

Die Vertreter der Musikindustrie schäumen vor Wut.

Steve Heckler, Sony Pictures Entertainment: «Die Industrie wird jeden Schritt unternehmen, der nötig ist, um sich selbst und seine Einnahmequellen zu schützen. Sie wird diese Einnahmequellen nicht verlieren, egal was geschieht. Sony wird aggressive Schritte unternehmen, um das zu stoppen.» Sony werde Napster an der Quelle, beim Provider und am PC blockieren, und zwar sehr aggressiv, denn es stehe zu viel auf dem Spiel.

So erklärt sich die Rücksichtslosigkeit der CD-Kopierschutzverfahren. Die Record Labels führen so erbittert Krieg gegen das File Sharing, dass sie die eigenen Kunden als Kollateralschaden in Kauf nehmen.

Die Bedrohung der Einnahmen durch File Sharing ist real. Zwar verkaufen sich CDs auch Anfang der Nullerjahre noch sehr gut, doch das zuvor rapide Wachstum verwandelt sich in einen Rückgang. Ab 2006 brechen die Einnahmen dramatisch ein.

Napster muss bereits 2001 den Betrieb einstellen. Auch andere Tauschbörsen werden vom Netz genommen. Doch trotz zahlreicher Polizei-Razzien und Schliessungen verliert die Industrie den Kampf gegen das File Sharing. Die dezentrale Technologie macht es unmöglich, gegen alle und alles vorzugehen. Zudem ist gar nicht immer so klar, ob die Angebote tatsächlich rechtswidrig sind.

Online Stores

Die Leute laden Musik aus dem Internet herunter. Dass sich damit Geld sparen lässt, das der Musikindustrie und den Musikern verloren geht, ist das eine. Doch viele würden Musik auch herunterladen, wenn sie nicht gratis wäre. Weil es in Kombination mit den mobilen MP3-Playern eine praktische Nutzung darstellt.

Tatsächlich löst sich die Musikindustrie von der Vorstellung, die Verbreitung durch DRM zu kontrollieren. Noch im selben Jahr gibt EMI seine Musik DRM-frei heraus, die anderen grossen Labels ziehen nach. Der kostenpflichtige Download wird attraktiver, wenn sich die Files nicht nur auf bestimmten Geräten nutzen lassen. Die Download-Umsätze nehmen in den nächsten Jahren stark zu, können jedoch die Verluste aus dem CD-Geschäft nicht kompensieren.

Streaming

Mit dem Aufkommen der Streaming-Dienste ändert sich noch einmal alles komplett. Zwar sind auch Streaming-Dienste kopiergeschützt. Ich kann einen heruntergeladenen Spotify-Song nur mit einem gültigen Spotify-Abo nutzen. Doch Streaming ist so bequem, dass ich das akzeptiere. Wenn ich die Musik immer und überall spielen kann, ist es mir nicht mehr so wichtig, dass ich jeden einzelnen Song physisch besitze und alles damit machen kann. Das dürfte den meisten so ergehen.

Daher hat Streaming den ständigen Kampf zwischen Musikhörer und Musikindustrie beendet. Beide Seiten bekommen, was sie wollen. Die Musikindustrie macht wieder fett Kohle und die Hörerinnen und Hörer haben jederzeit Zugriff auf praktisch jeden Song dieser Welt.

Friede, Freude, Eierkuchen also? Nein. Die Einnahmen sprudeln zwar – und nehmen rasch zu – doch wie sie verteilt werden, ist alles andere als befriedigend. Die Musiker kommen schlecht weg. Insbesondere für die kleinen und mittelgrossen Bands sind die Streaming-Einnahmen ein schlechter Witz. Sie können unmöglich davon leben.

Nachdem EMI von Universal übernommen wurde, gibt es nur noch drei grosse Musiklabels, die zusammen etwa 70 Prozent der Einnahmen generieren. Es gibt weniger grosse Labels, als es grosse Streaming-Dienste gibt. Und jeder Streaming-Dienst muss alle drei haben. Somit sitzen die Major Labels am längeren Hebel. Sie haben eine ungeheure Macht bei Verhandlungen. Spotify macht zwar jedes Quartal Umsatz im Milliardenbereich, aber nach wie vor kaum Gewinn.

Was hat das alles mit Kopierschutz zu tun? Ganz einfach: Von Anfang an war das Hauptargument der Musikindustrie, dass sie die Bewahrerin der Musikkultur sei. Sie stellt sich gern als die Förderin dar, die gute Musik erst möglich macht. Die Art, wie das Streaming-Business läuft, zeigt aber, dass den mächtigen Playern der Industrie die Existenz der kreativen Musiker egal ist. Hauptsache, die Kasse stimmt für sie selbst.

Es herrscht Frieden – aber nur an der Oberfläche

Heute scheint auf den ersten Blick alles in Butter: Die Musikindustrie hat DRM bei Downloads und CDs fallen gelassen. Beim Streaming akzeptieren die User den Kopierschutz, weil er sie im Alltag kaum einschränkt. Der Krieg zwischen der Hörerschaft und der Industrie ist zu Ende.

Für die Musikschaffenden ist jedoch die aktuelle Situation katastrophal. Das Streaming bietet den allermeisten keine Existenzgrundlage. Corona hat zudem die Konzerteinnahmen minimiert, und auch bei den Auftritten sind die weniger bekannten Gruppen auf Partner angewiesen, die ihnen ihre Bedingungen diktieren.

«Ihr habt ein System für hinreissende Sounds geschaffen, aber ihr verachtet die Schöpfer dieser Sounds.» Das hat RIAA-Präsident Gortikov den japanischen Herstellern vorgeworfen. Aber eigentlich trifft es viel mehr auf die Musikindustrie selbst zu.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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