
Meinung
«Once Human» will das nächste «Forever Game» sein, aber ist es dafür gut genug?
von Philipp Rüegg
Wir können uns nun offiziell «Great Place to Work» nennen. Vieles läuft richtig, bei einigen Dingen gibt’s Aufholbedarf. Feiern gehört aber definitiv nicht dazu.
Die Digitec Galaxus AG ist nun offiziell einer von knapp 40 «Great Places to Work», also einer der besten Arbeitgeber der Schweiz. Das lese ich in einer internen E-Mail, während sich mein Fuss in einem Clownkostüm verwickelt und mir ein Stapel Magazine vom Tisch fällt. Wirklich great, diese Platzverhältnisse. In der Redaktion sitzt es sich wie in einer Legebatterie. Pult an Pult, dazwischen allerlei Kram von Reviews und Videodrehs. Dafür bin ich meinen lieben Arbeitskollegen ganz nah und muss nicht per Mail kommunizieren.
So wie mir geht es bei Weitem nicht allen. Mit neidischem Blick schaue ich durchs Fenster rüber zu den Freilandhühnern. Dort, wo unter anderem unser Accounting angesiedelt ist, kannst du locker einen Walzer aufs Parkett legen, so viel Platz ist da. Ausserdem gibt’s frische Früchte und ein Aquarium mit dem kleinen Fisch Paul! Neben mir gibt’s eine Meetingbox aus OSB-Platten, die mir auch das letzte natürliche Licht nimmt. Immerhin habe ich nie Probleme mit Spiegelungen auf meinen Monitoren. Glück im Unglück.
Meine Kollegen in der Logistik haben eher weniger mit Bildschirmen zu kämpfen, sondern mehr mit der Infrastruktur und dem Arbeitsablauf an sich. Parkplätze, Toiletten und Pausen sind zu knapp berechnet. Auch im Product Development fehlt’s an Toiletten, Männertoiletten. Trotz aller Bemühungen, Software Engineering bleibt eine Männerdomäne. Dafür gefallen die neue Begrünung und das Klima. Im Marketing hingegen führt letzter Punkt immer wieder zu roten Köpfen – im wahrsten Sinne des Wortes. Im Sommer nähert sich die Temperatur dem Siedepunkt. Klimaanlagen? Fehlanzeige. Für das Business Intelligence Team alles unbekannte Probleme. Ihr Grossraumbüro drei Stockwerke unter mir, das sie sich mit anderen Abteilungen teilen, hat nach einer kleinen Renovation abgegrenzte Nischen für jedes Team, viel Licht und genug Platz. Das will ich auch!
Diese Punkte kommen in den Resultaten der «Great Place to Work»-Umfrage, die alle Mitarbeitenden vor Wochen ausfüllen mussten, klar durch. Die Fragen drehten sich grob um Glaubwürdigkeit, Respekt, Fairness, Stolz und Teamgeist. Jede Abteilung hat mitgemacht: ob Shop, Logistik, Marketing oder auch Management. Kaum verwunderlich, dass dabei viele verschiedene Antworten rauskamen. Dass Logistik und Marketing oder Engineering und Retail nicht dieselben Bedürfnisse haben, ist klar. Dennoch sind unterm Strich 71 Prozent der Antworten positiv ausgefallen. Um als «Great Place to Work» zertifiziert zu werden, braucht ein Unternehmen 70 Prozent. Ein gutes Pferd springt halt nur so hoch, wie es muss. Das hat mir mein Vater schon während meiner Schulzeit eingebläut.
Was das Ergebnis so knapp macht? Das liebe Geld und fehlende Kommunikation – in jeder Beziehung schwierige Themen. Mehr Lohn und mehr Transparenz werden gefordert. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte: für jede Firma Knackpunkte. Immerhin haben wir unterdessen offizielle Lohnbänder, die mit dem restlichen Markt mithalten können. Nichtsdestotrotz leidet durch diese Themen die Loyalität zum Arbeitgeber, was sich in der Umfrage bemerkbar macht.
Was uns doch noch über die Schwelle gehievt hat? Das Vertrauen in die Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeitenden, gelebter Teamgeist, Flexibilität und verbesserte Sozialleistungen. Anscheinend gibt’s bei uns jetzt sogar Vaterschaftsurlaub nach einer Adoption. Was aber alles andere übertrumpft? Wir wissen, wie man feiert! Zweimal pro Jahr wird mit der gesamten Belegschaft angestossen, dazwischen gibt’s immer wieder Abteilungs- und Teamevents. Das reicht uns immer noch nicht, weshalb einmal im Monat zum sogenannten «Friday Beer» geladen wird. Das ist genau das, wonach es sich anhört: Bier (und andere Getränke, auch alkoholfreie) auf Kosten der Firma.
Nach einer dieser durchzechten Nächte ist die Kaffeemaschine noch wichtiger als sonst. Der Kaffee ist gratis, die Milch zum Glück auch. Denn geschmacklich herrscht bei den Bohnen noch Luft nach oben. Dennoch hält er die Motivation und Produktivität hoch, nicht nur bei mir. Und wenn’s gar nicht geht, gibt’s in gewissen Abteilungen Siebträgermaschinen oder Home Office. Der Shop fällt nicht in die Kategorie, aus offensichtlichen Gründen. Die Option, von Zuhause zu arbeiten, fehlt aber anscheinend nicht, da die Arbeit mit den Kollegen hoch geschätzt wird. Die Arbeitsatmosphäre wird durch alle Abteilungen positiv bewertet, weil die Stimmung gut ist und jeder so akzeptiert wird, wie er ist. Ich kann in Schlabberpulli und Birkenstock-Schlappen oder auch im kleinen Schwarzen mit knallrotem Lippenstift im Büro auftauchen. Total egal. Nicht einmal in den Shops und der Logistik gibt’s einen Dresscode.
Diese Arbeitsatmosphäre macht sogar die dunkle Bunkerstimmung wett, die ich an meinem Arbeitsplatz verspüre. Es wird viel gelacht, dumm geschwätzt und kreativ gedacht. Klingt zwar oft ruppig, aber so mag ich das. Wir können experimentieren, Fehler machen und daraus lernen, ohne dass es auf die Mütze gibt. Mein Arbeitsgeber ist noch lange nicht perfekt, aber die wichtigen Faktoren stimmen. Und für die anderen Dinge werden immerhin (langsam) Lösungen gesucht. In diesem Sinne: Ich freue mich schon aufs neue «Beleuchtungskonzept», an dem seit Monaten getüftelt wird. 😉
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.