Hintergrund

High End Audio: Wenn Verbesserungen nichts mehr bringen

David Lee
7.8.2023

Die besten Geräte kosten übermässig viel Geld, besonders im Audio-Bereich. Das ist kein Problem, solange Geniesser noch einen Unterschied hören. Durch den Fortschritt ist das immer seltener der Fall – und dann spielt uns das Gehirn einen Streich.

Es gibt Kopfhörer für fünf Franken. Bereits für wenig mehr bekommst du eine deutlich bessere Qualität. Zahlst du noch mehr, sagen wir 150 Franken, klingt es schon richtig gut. Bei 500 Franken auch. Bei 2000 Franken – auch. Und teurer geht immer.

Willkommen im High-End-Bereich: Dem Bereich, wo die Preise durch die Decke gehen. Doch wie sieht es mit der Leistung aus?

Generell – nicht nur bei Audio-Produkten – steigt die Leistung nicht linear zum Preis. Stattdessen steigt im oberen Bereich der Preis überproportional zur Leistung an. Grafisch dargestellt ungefähr so:

Das heisst nichts anderes, als dass High-End-Produkte im Allgemeinen ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis haben als Mittelklasse-Produkte. Der Zielgruppe ist das egal. Wer High End will und es sich leisten kann, weiss das und nimmt es in Kauf. Denn für die Liebe tut man alles – und die Liebe zur Musik ist die grösste und längste Liebe im Leben vieler Menschen.

So weit also alles in Ordnung. Wenn der 2000-Franken-Kopfhörer noch ein kleines bisschen besser klingt als der für 500 und es dem Käufer das wert ist, warum nicht?

Verbesserungen im unhörbaren Bereich

Doch zurück zum Audio-Bereich. Bei Kopfhörern spielt die Frequenzangabe keine grosse Rolle, sie ist kein Verkaufsargument. Sie steht bloss in den technischen Daten. Ein heiss diskutiertes Thema dagegen sind die Abtastraten.

Höhere Abtastraten sind deswegen nicht komplett sinnlos. Denn sie ermöglichen nicht nur höhere Frequenzen, sondern auch präzisere Rekonstruktionsfilter. Der Rekonstruktionsfilter bestimmt, wie aus den digitalen Daten analoge Schallwellen erzeugt werden. Bessere Filter sind, im Gegensatz zu Ultraschall, zumindest theoretisch hörbar.

Doch auch hier hat der technische Fortschritt längst alles erledigt. Heute beherrschen selbst die billigsten Digital Analog Converter (DAC) Abtastraten von 96 kHz. Zum Beispiel dieser hier. Und auch die im Computer eingebauten DACs sind auf dieser Stufe.

Wer jetzt immer noch glaubt, das sei zu wenig, bekommt das Vierfache, also 384 kHz, zum Spottpreis.

Die Abtastrate ist nur ein Faktor von vielen bei der Bewertung eines DACs. Doch ähnliches liesse sich auch über die Bittiefe und andere Specs sagen. Heute gibt es keine DACs mehr, die eine schlechte Klangqualität liefern. Für diese Gerätekategorie würde ich das Preis-Leistungs-Diagramm von oben wie folgt anpassen:

Der Nutzen ist nicht beweisbar, das Gegenteil auch nicht

Um das zu prüfen, werden wissenschaftliche Blindtests gemacht. Dabei kommt fast immer das Gleiche heraus: Die meisten Menschen sind nicht fähig, unterschiedliche Abtastraten über 44,1 kHz zuverlässig zu erkennen. Ultraschall hört sowieso niemand, und die Unterschiede moderner Rekonstruktionsfilter hören nur geschulte Menschen unter ganz bestimmten Umständen.

Damit, so könnte man meinen, hätte sich die Sache erledigt. Doch erstaunlicherweise ist das Gegenteil der Fall.

Und die Filter? Bei den Blindtests zu hohen Abtastraten lässt sich eine Menge kritisieren: Die Auswahl der Musikstücke sei falsch, die Lautstärke nur nach Gehör und nicht mit Messgeräten angeglichen oder das Equipment sei zu wenig gut, um die Unterschiede zur Geltung zu bringen.

Wie immer bei wissenschaftlichen Studien kann man sich gezielt die herauspicken, die mit der persönlichen Ansicht übereinstimmen. Das dürfte ein Grund sein, warum diese Diskussionen nie aufhören.

Es ist praktisch unmöglich, zu beweisen, dass etwas nichts bringt. Selbst wenn die Argumentation vollständig wasserdicht ist, kann immer jemand behaupten, er – oder viel seltener sie – höre doch einen Unterschied.

Und das ist nicht einmal gelogen. Die Leute, die beteuern, dass sie einen Unterschied hören, sagen in aller Regel die Wahrheit.

Sich auf die Ohren verlassen?

Simple technische Angaben wie «96 kHz» haben einen komplexen technischen Hintergrund, der für Laien kaum vollständig zu begreifen ist. Halbwissen führt oft zu falschen Annahmen. Es scheint daher vernünftig und naheliegend, sich auf das eigene Gehör zu verlassen. Letztlich zählt nur eines: Ob es in meinen Ohren besser klingt oder nicht.

Doch das ist gar nicht so einfach. Denn wir hören nicht bloss mit den Ohren, sondern auch mit dem Gehirn. Das Gehirn ergänzt fehlende Informationen oder erfindet neue dazu. Hast du ein anderes Wort verstanden, als der Gesprächspartner ausgesprochen hat, dann war es dein Gehirn, das etwas falsch ergänzt hat.

Das ist der Grund, warum Forscherinnen und Forscher mit Blindtests arbeiten. Der Placebo-Effekt soll ausgeschaltet werden. Manchmal sind es sogar Doppelblindstudien: Die Person, welche die Probanden durch die Tests führt, weiss dann selber nicht, was gerade getestet wird. Dies, weil ihr Wissen unbewusst ihr Verhalten und somit die Probanden beeinflussen könnte.

Bei mir zuhause kann ich schon einen einfachen Blindtest in vielen Fällen nicht ausführen. Ich weiss, welchen Kopfhörer ich aufhabe, und dieses Wissen beeinflusst mich. Um zwei DAC blind zu vergleichen, müsste ich zwei identische Quellgeräte und Kopfhörer haben, und auf beiden Systemen müsste zeitgleich die gleiche Musik laufen. Und selbst dann weiss ich, welche zwei Geräte ich vergleiche und was sie versprechen.

Hörpsychologie: ein audiophiler Netzwerk-Switch

Beide zitierten Testberichte berichten auch von einer obsessiven Beschäftigung mit dem Equipment und von Kontakten mit dem Hersteller – der eine Tester hat sich in einem langen Telefonat bequatschen lassen. Dieses Vorgehen ist das Gegenteil eines Blindtests: Eine ausgiebige Einstimmung des Gehirns auf das, was zu erwarten ist. Wer so testet, kann nicht behaupten, sich ausschliesslich auf sein Gehör zu verlassen.

Selbst in den Blindtests von Linus geben immerhin zwei respektive drei von zehn Testpersonen an, einen Unterschied zu hören. Von diesen bevorzugen jedoch 80 Prozent den unmodifizierten 30-Dollar-Switch gegenüber dem audiophilen 800-Dollar-Switch. Alleine schon das Wissen, dass man jetzt etwas zugeschaltet hat, was die Qualität erhöhen sollte, führt dazu, dass man tatsächlich eine Veränderung hört.

Die Probleme der High-End-Hersteller

Wo die klar hörbaren Unterschiede verschwinden, gewinnen psychologische Faktoren an Bedeutung. Die seriösen Hersteller von High End Audio haben dadurch zwei Probleme. Erstens bringt der ganze Aufwand, den sie betreiben, keinen klar erkennbaren Mehrwert. Selbst wenn die messbare Leistung höher ist als bei der günstigeren Konkurrenz – sie ist nicht mehr wahrnehmbar.

Und zweitens, das ist fast noch schlimmer, ist ein solches Produkt in der Wirkung nicht mehr unterscheidbar von unseriösen Produkten. Und von denen gibt es viele – aus genau diesem Grund. Die High-End-Branche gerät dadurch in Verruf. Ich zeichne deshalb noch eine dritte, nicht ganz ernst gemeinte Version meines Preis-Leistungs-Schemas:

Es ist bittere Ironie, dass genau die Produkte, die am meisten Leistung bringen, mit denen verwechselt werden, die überhaupt keine Leistung erbringen. Kein Wunder, dass das Thema polarisiert.

Ich teste übrigens zurzeit einen teuren DAC von RME Audio. Der Hersteller macht einen überaus seriösen Eindruck, und tatsächlich höre ich einen Unterschied zu meinem 70-Franken-DAC. Aber es ist kein Blindtest. Ist es mein Gehirn, das den Unterschied fabriziert? Ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiss.

Titelbild: Verstärker und Lautsprecher an der BAV Hi-End Show in Bangkok. Die «Kharma Enygma Veyron 2 Diamond» ganz aussen kosten 375 000 Euro. Quelle: Shutterstock/Brostock

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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