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«Half-Life Alyx»: Das Warten hat sich gelohnt

«Half-Life Alyx» ist nicht nur ein verdammt gutes VR-Game, es ist auch ein verdammt gutes «Half-Life»-Game. Wer hätte es gedacht, dass Valve tatsächlich nochmal die Kurve kriegt?

«Half-Life» ist zurück. Endlich! Nach 16 Jahren ist entgegen jeder Hoffnung ein neuer Teil erschienen – exklusiv für VR. Ein Entscheid, der nicht nur auf Begeisterung stösst. Das Opfer war nötig, um die Serie aus der Versenkung zu holen. Wie sich in Interviews mit Valve-Mitarbeitern gezeigt hat, ist man im Hauptquartier in Seattle in Schockstarre verfallen, was die Marke «Half-Life» betrifft. Mit «Half-Life Alyx» wagt sich das Team nun aus der Versenkung. Statt Gordon Freeman gibt es Alyx Vance und statt Ego Shooter gibt es ein Virtual-Reality-Gruselgame – denn eins wird schnell klar: Die Ravenholm-Warnung, «We don’t go there anymore» hat nicht nur der stumme Wissenschaftler anno 2004 missachtet.

Gut geklaut…

Das Spiel ist zeitlich zwischen «Half-Life» und «Half-Life 2» angesiedelt. Die Welt ist mitten im Krieg mit der Alienrasse Combine. Als Widerstandskämpferin trägt Alyx ihren Teil zur Rettung der Menschheit bei. Die Story wird dich zwar nicht aus den Socken hauen, aber sie ist «Half-Life»-typisch spannend erzählt und wenn dir das Universum gefällt, darfst du dich auf ein paar interessante Wendungen freuen. Von «Portal» scheint sich das Entwicklerteam den Humor abgeschaut zu haben. Alyx ist in ständigem Funkkontakt mit Russel, der mich etwas an die plappernden Drohne Wheatley erinnert. Die Unterhaltungen haben mich regelmässig zum Lachen gebracht. Aber auch das Gamedesign bei dem Valve einen starken Fokus auf Physik legt, hält viele witzige Momente bereit.

Während VR-Neulinge über jede kleine Physikdemonstration und Nachlademechanik staunen werden, dürften hartgesottene VR-Zocker das meiste davon schon in anderen Spielen gesehen haben. Aber wie immer ist gut geklaut besser als schlecht erfunden. Und Valve schafft es, vielem davon einen eigenen Dreh zu verpassen. Allen voran die Gravity-Handschuhe mit denen du Gegenstände zu dir heranziehen kannst. Einfach mit der Hand anvisieren, bis der Gegenstand orange leuchtet, dann einen leichten Zwick mit dem Handgelenk geben und schon fliegt es zu dir. Fangen musst du es dann aber auch noch. Das funktioniert nach einer kurzen Eingewöhnungsphase enorm intuitiv.

Zum Glück, denn in den schweisstreibenden Kämpfen mit springenden Headcrabs und grabschenden Zombies sind die Handschuhe Gold wert. Wenn du dich geschickt anstellst, kannst du Gegenstände wie Gasflaschen zu dir heranziehen und auf Gegner schleudern. Oder schnell ein Magazin heranziehen, das dir in der Hektik aus der Hand gefallen ist. Denn die Waffen müssen manuell geladen werden. Ein Knopf löst das Magazin, ein Griff über die Schulter holt ein neues aus dem Rucksack, einstecken bis es «Klick╗ macht und ein letzter Knopfdruck und die Waffe ist wieder bereit. In der Hitze des Gefechts kein leichtes Unterfangen, aber äusserst effektiv, um dich in Panik zu versetzen.

Eine Welt zum Anfassen

Du kannst mit so ziemlich allem im Spiel interagieren. Mal den schlaffen Körper eines Zombies über eine Klippe schieben, Steinchen auf Katzen verwerfen (pfui, das macht man doch nicht) oder ein Tänzchen mit einem toten Headcrab wagen. Zerstört wird die Illusion manchmal, wenn etwas nicht so funktioniert, wie es soll. So findest du an einer Stelle ein Metallrohr, das eine Tür blockiert. «Half-Life»-typisch will ich damit anschliessend ein paar Zombies aufmischen. Aber die Stange hat keine Wirkung. Offenbar hat sich Valve bewusst gegen diese Waffe entschieden, aus Angst, dass VR-Spieler ihre Wohnung demolieren. Damit kommen wir gleich zum nächsten Kritikpunkt: Du brauchst Platz. Zwar kannst du «Alyx» so ziemlich mit jedem Setup und in jeder Form spielen, ideal ist aber klar stehend mit viel Platz. Den habe ich nicht. Also schlage ich mir ständig die Hände irgendwo an, wenn ich im Spiel Schränke durchsuche oder Granaten werfe. Schade, aber kein neues Problem von VR.

Die Granaten sind ein Highlight. Du kannst sie überraschend realistisch durch die Gegend werfen. Valve wusste nur zu gut, wie spassig das ist und hat witzige Situationen dafür kreiert. So musst du einmal einen Lüftungsschacht treffen, damit die Granate in einem versperrten Zimmer landet oder du öffnest ein Fenster, nur um einen Raum mit Zombies vorzufinden. Also Granate rein und Fenster wieder zu. Dann blöd Grinsen bis die Explosion die Untoten auslöscht.

Die Physikspielereien gehen noch viel weiter. Zwar erlaubt dir das Spiel abgesehen von Magazinen nur zwei Gegenstände zu tragen. Was dir das Spiel aber nicht verbietet, ist einen Korb mitzuschleppen, den du mit Granaten und Heilspritzen füllst und mit dir herumträgst. Etwas umständlich, aber es geht.

Ein «Half-Life» wäre aber kein «Half-Life» ohne Rätsel. Die gibt es unter anderem in Form von holografischen Globen, mit denen du interagieren musst. Mal geht es darum, wie in Memory, alle identischen Symbole miteinander zu verbinden oder du versuchst, einen blauen Lichtstrahl durch einen Haufen roter zu navigieren, ohne diese zu berühren. Dazu hältst du den transparenten Globus mit der einen Hand und mit der anderen steuerst du.

Fazit: Uneingeschränkte Empfehlung für VR-Besitzer

«Half-Life Alyx» ist keine VR-Revolution und wird VR nicht aus ihrem Nischendasein befreien. Die Limitationen und Hürden, die die Technik mitsichbringen, können auch die Zauberkünstler von Valve nicht umgehen. Trotzdem ist «Half-Life Alyx» für mich das erste VR-Game, auf das ich jeden Abend richtig Bock habe. Und das ist nicht alleine dem Umstand zu verdanken, dass es im «Half-Life»-Universum angesiedelt ist. «Half-Life Alyx» wird vielleicht keine Berge versetzen, aber wenn es die Tore für neue Fortsetzungen von Valve öffnet, dann ist das für mich mehr als ausreichend. Glados, ich bin bereit für meinen Kuchen.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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