Hintergrund

Gaming-Crashkurs für Senioren: «Ich hatte keine Ahnung, dass es solche Spiele gibt»

Philipp Rüegg
28.12.2018

Zocken ist nur was für Kinder? Von wegen. Wir haben einen Gaming-Nachmittag für Senioren organisiert und ihnen die faszinierende Welt der Spiele nähergebracht: Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

«Für das Geld geh ich doch lieber ins Kino.» Die Vorführung des Indie-Games «Stanley Parable» hat zwar Ursulas Vorurteile abbauen können, in allen Games werde nur geschossen, skeptisch bleibt sie weiterhin. Die 83-Jährige ist in Begleitung ihres Enkels in die eStudios in Zürich gekommen, wo wir einen Game-Nachmittag nur für Senioren veranstalten. Zwölf Gamer-PCs, ein Super Nintendo Classic und eine Xbox One stehen bereit, um die Damen und Herren in die Welt des Gamings einzuführen.

Ein bunter Strauss von Teilnehmern

Ursula spielt zusammen mit Enkel Gian auf der Nintendo Switch.
Ursula spielt zusammen mit Enkel Gian auf der Nintendo Switch.

Einen ganzen Nachmittag nur zocken. Das klingt nach einem grossartigen Zeitvertreib. Für Ursula ist es jedoch das erste mal in ihrem Leben, dass sie Game-Luft schnuppert. In diesen vier Stunden will sie endlich verstehen, warum dieses Medium junge Menschen so bewegt. «Ausserdem kann ich so am Weihnachtsessen über ein neues spannendes Thema mitdiskutieren», fügt Ursula an.

Ebenfalls teil nehmen Roger (67) und Johann (70). Sie haben bereits erste Erfahrung mit Games gesammelt. «Früher habe ich Flugsimulator gespielt. Das ist aber schon ewig her. Heute komme ich höchstens mal durch meinen Sohn mit Games in Berührung.» Bei Johann sieht es ähnlich aus. Er hat sich zwar kürzlich eine PS4 Pro mit «Fifa 19» und «Gran Turismo» angeschafft, so ganz schlau wird er daraus aber noch nicht.

Johann (l.) und Roger (r.) versuchen sich an «Overwatch»
Johann (l.) und Roger (r.) versuchen sich an «Overwatch»

Die letzte im Bunde ist Monika, die im Vergleich zu den restlichen Teilnehmern nichts von ihrem Glück wusste. «Kevin hat mich gefragt, ob ich am Donnerstag etwas vorhabe und ich hab leichtsinnigerweise nein gesagt», sagt die 64-Jährige lachend. Kevin ist der Name ihres Sohnes, der verantwortlich für die Überraschung ist. Er will die frühere «Tetris»-Spielerin wieder für das vergessene Hobby begeistern. «Als mein Bruder und ich den Gameboy geschenkt bekamen, hat sie ihn stundenlang belegt, um ‹Tetris› zu spielen», so der Sohnemann, der mittlerweile selber eine Tochter hat. Ihren Kindern den Gameboy gestohlen zu haben, hat Monika erfolgreich verdrängt. Interesse am Hobby ihrer Söhne hat sie hingegen immer gezeigt – auch wenn sie nur selten selber den Controller in die Hand nahm. Das soll sich heute ändern.

Sie: «Wer hat gewonnen?» Er: «Du» Sie: «Ahhhh»

Kevin und seine Mutter Monika browsen durch den Steam-Store.
Kevin und seine Mutter Monika browsen durch den Steam-Store.

Wir beginnen mit einer Runde «Rocket League». Da nur zwei Controller zur Verfügung stehen, muss der Rest mit Tastatur und Maus Vorlieb nehmen. Laut Tobias Egartner von den eStudios, der ebenfalls helfend zur Seite steht, spielt offenbar die Hälfte der Pros auf diese Weise. Alles Irre, wenn man mich fragt, aber das macht ja keiner. Also erkläre ich den Teilnehmern wie sie ihre bunten Fahrzeuge steuern müssen, um den Ball ins gegnerische Tor zu knallen. Ausser Sohn und Enkel, die sich ebenfalls einen freien Platz geschnappt haben, kommt zwar niemand wirklich mit der Steuerung klar, das Spielprinzip gefällt hingegen.

Erwartungsgemäss birgt WASD die grösste Herausforderung. Daran wird wohl auch der nächste Titel nichts ändern: «Counter-Strike GO». Monika, der als Linkshänderin noch ein weiteres Hindernis aufgebürdet wird, macht erste zaghafte Schritte. Da wir die Tastenbelegung nicht komplett umstellen wollen, ist die Bedienung der Tastatur mit der rechten Hand eher suboptimal. Besonders schwierig wird’s, wenn man über ein Mäuerchen springen möchte und mit dem Handballen die Leertaste betätigen muss. Irgendwie ist es dennoch ihr Team, das am Ende den Sieg davon trägt. Sehr zu ihrer Verwunderung: «Wer hat gewonnen?». «Du», erklärt ihr Sohn. «Ahhh.»

Roger und Johann haben derweil selbständig ein Bot-Match gestartet. Nur mit Pistole bewaffnet machen aber auch sie nicht die beste Figur. Als ich Roger zeige, wie er sich eine AK-47 kaufen kann, erscheint ein Grinsen auf seinem Gesicht und er feuert freudig ein paar Salven in die Luft. Damit trifft er zwar auch nicht besser, aber die Erfahrung scheint ihm Spass zu machen.

Johann gibt den Bots Saures.
Johann gibt den Bots Saures.

Ursula hat den Platz Gian überlassen. Ballerspiele sagen ihr nicht besonders zu und sie habe ohnehin mehr vom Zuschauen. «Es macht mich nervös, wenn ich in einem Team spielen muss. Ich spiele lieber etwas für mich», meint Ursula. Da horcht Gian auf: «Oma, jetzt weiss ich, von wem ich das hab. Ich mag nämlich auch keine Multiplayer-Spiele. Die stressen mich nur.» Unser Spielenachmittag ist nicht nur informativ, sondern auch therapeutisch.

Auf der gegenüberliegenden Seite hat Johann «Overwatch» gestartet. Die 29 verfügbaren Spielfiguren sind dann aber doch etwas zu viel des Guten. «Counter-Strike GO» war da ein kleines bisschen einfacher. Da gibt’s nur zwei Teams. Also entscheide ich für ihn und wähle den muskulösen Reinhardt. Nachdem ich Johann die wichtigsten Dinge erklärt habe, stampft er los. Allerdings ist ein Nachmittag definitiv zu kurz, um wirklich mit Maus und Tastatur vertraut zu werden. Daher ist es meist Zufall, wenn ein Gegner von Reinhardts Hammer erschlagen wird. Da es ein Bot-Match ist, spielt der Computer primär unter sich.

«Ich wusste gar nicht, dass es auch solche Spiele gibt»

«Assassin’s Creed Odyssey» hat beeindruckt.
«Assassin’s Creed Odyssey» hat beeindruckt.

Im Verlauf des Nachmittags verteilen sich die Teilnehmer nach und nach auf die verschiedenen Stationen. Gian zeigt seiner Grossmutter auf der Xbox One eines seiner Lieblingsspiele: «Assassin’s Creed Odyssey». Es dauert nicht lange, bis sich eine kleine Gruppe um den Fernseher scharrt. «Ich hätte nicht gedacht, dass Spiele schon so realistisch aussehen. Sowas habe ich noch nie gesehen», staunt Monika. Johann, der mittlerweile den Controller in der Hand hat, macht kurzen Prozess aus zwei Banditen. Beim blutigen Finishmove fürchte ich einen Moment, dass jemand das Gesicht verzieht, stattdessen lachen Johann und Monika lauthals über die groteske Szene.

Dass es auch völlig gewaltlose Spiele wie «Firewatch» gibt, wussten nicht alle Teilnehmer.
Dass es auch völlig gewaltlose Spiele wie «Firewatch» gibt, wussten nicht alle Teilnehmer.

Um zu zeigen, wie vielfältig Spiele sein können, starte ich «Firewatch». Darin spielt man einen Feuerwächter, der in einem Nationalpark den Aufpasser spielt. «Firewatch» besteht grösstenteils aus Dialogen und Entdecken der wunderschön designten Wildnis. «Ich wusste gar nicht, dass es auch solche Spiele gibt», entfährt es Ursula. Auch das eingangs erwähnte «Stanley Parable» gefällt ihr. Dort schlüpft man in die Rolle von Stanley, der begleitet von einer altklugen Erzählstimme, ein verlassenes Bürogebäude erkundet. Der Humor des Spiels kommt gut an. Geld würde Ursula dafür aber trotzdem nicht ausgeben.

Verrückte Tanzmoves und Geld für Skins

Zum Schluss starte ich noch «Fortnite». Von der Battle-Royale-Sensation hat jeder schon gehört und die Anwesenden wollen wissen, was es damit auf sich hat. Das knallbunte Design und die verrückten Skins sorgen für Schmunzeln. Beim Absprung aus dem fliegenden blauen Schulbus, der an einem Heissluftballon hängt, werden grosse Augen gemacht. Das Spielprinzip scheint besonders Monika zuzusagen. Als ich mit der Spitzhacke alles kurz und klein schlage, um an Ressourcen zu kommen, klatscht sie freudig in die Hände: «Das ist ja herrlich. Das fände ich auch toll. Da kann man perfekt seine Aggressionen rauslassen.» So habe ich das noch nie gesehen, aber jedem das seine.

Für Stirnrunzeln sorgt dagegen die Information, dass man sich im Spiel für echtes Geld kosmetische Sachen kaufen kann. «Wie? Menschen zahlen wirklich mehrere hundert Franken für ein virtuelles Kleidungsstück?» Monika kann nur noch staunen. Leider bleibt nicht mehr genug Zeit, die Thematik zu vertiefen. Aber auch ohne Diskurs über Game-Finanzierung, respektive die Problematik dahinter, haben die gamenden Senioren genug zu verarbeiten.

Aller Anfang ist schwer, aber es lohnt sich

Ich erklär gerade, wie der Schulbus in «Fortnite» die Spieler ins Game bringt.
Ich erklär gerade, wie der Schulbus in «Fortnite» die Spieler ins Game bringt.

Der Nachmittag scheint sich gelohnt zu haben: «Es war sehr interessant. Ich habe einige neue Spiele kennengelernt, die ich mal ausprobieren will», sagt Johann. Zuerst will er aber «Fifa 19» und «Gran Tursimo» spielen, die Zuhause auf ihn warten. «Die ganzen Werkzeuge zu verstehen und die Koordination zwischen linker und rechter Hand zu lernen, ist schwieriger, als ich gedacht habe», ist Rogers Bilanz, der extra aus Worb im Kanton Bern angereist ist. Bei Monika, die zum Schluss noch eine Party «Tetris Ultimate» mit ihrem Sohn gespielt hat, scheint das Interesse an Spielen auch wieder etwas entfacht zu sein. Zur Vollzeit-Gamerin werde sie aber wohl nicht: «Ich hab doch keine Zeit. Einen Computer hätte ich aber bereits. Wer weiss, vielleicht kommt’s ja doch noch.»

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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