Hintergrund

Flut von KI-Musik: mehr ist definitiv nicht besser

David Lee
12.10.2025

Riesige Mengen von KI-generierten Songs fluten die Streaming-Portale. Das ist ein relativ neues Problem. Doch es verstärkt in erster Linie ältere, längst bekannte Probleme.

Der KI-Spam müllt nicht nur die Portale zu, sondern dient auch als Basis für Betrug. Bots «hören» die KI-generierten Songs automatisch und deren Ersteller kassieren so Lizenzgebühren. Spotify und Konsorten versuchen dem mit der automatischen Erkennung von Bot-Verhalten entgegenzuwirken.

Für Musikschaffende stellt die KI darüber hinaus ein sehr grundsätzliches Problem dar. Ihre Arbeit könnte in Zukunft weitgehend wertlos werden. Wozu braucht es noch Musiker, wenn man neue Musik einfach auf Knopfdruck erstellen kann?

Meine These ist, dass all diese Probleme gar nicht so neu sind – sie werden aber durch die KI-Flut massiv verstärkt. Sehen wir uns das mal im Detail an.

Altes Problem Nr. 1: Es gibt von allem zu viel

Aufmerksamkeit ist die Währung des 21. Jahrhunderts. Und die Verteilung der Aufmerksamkeit sieht bei Youtube ähnlich aus wie bei Spotify. Nur wenige Videos werden oft gestreamt, die grosse Mehrheit selten bis nie. Die Hälfte aller Youtube-Videos wurde gemäss besagter Studie weniger als 35 Mal angesehen. Fast fünf Prozent überhaupt nie. Auf der anderen Seite sind die erfolgreichsten 0,16 Prozent der Videos für die Hälfte aller Views verantwortlich.

Dies war 2022, also noch vor dem Aufstieg von KI-Slop.

Das Prinzip ist also «the winner takes it all». Für die Personen, die ihren Lebensunterhalt im Content-Bereich verdienen, ist das ein Problem. Ausgenommen einige Superstars, für die das System funktioniert. Alle anderen verdienen wenig bis nichts – und selbst die, die davon leben können, stehen unter grossem Druck, ständig neue Publikumserfolge zu produzieren. Dies wiederum führt zu noch mehr Überproduktion.

Altbekanntes Problem Nr. 2: mehr vom Gleichen

Auch dieses Phänomen betrifft nicht nur die Musik, sondern die gesamte Kreativbranche. Etwa Kinofilme. Fast jeder neue Film ist irgendein Sequel, ein Remake oder ein Spinoff eines längst vergangenen Kassenschlagers. Franchises werden ausgepresst bis zum Gehtnichtmehr. Es wird wahnsinnig viel produziert, aber echte Kreativität ist selten.

KI schlägt voll in diese Kerbe. Generative KI ist per Definition mehr vom Gleichen. Sie kreiert Songs, Bilder oder Videos, indem sie bekannte Strukturen reproduziert. Dabei kann sie auch Versatzstücke aus unterschiedlichen Stilen neu kombinieren – doch ein in sich stimmiger, neuer Stil entsteht so nicht. Tatsächlich finden sich zurzeit mehr verschiedene Genres in den Charts als auch schon. Neue Stilrichtungen gab es in den letzten Jahren jedoch nicht.

In Nischen wird experimentelle Musik und Kunst weiterhin existieren. Aber genau diese wird ja nicht gehört. Die Leute wollen immer mehr vom Gleichen, und sie bekommen, was sie wollen.

Altbekanntes Problem Nr. 3: Die Menge kann nicht fair verwaltet werden

Altbekanntes Problem Nr. 4: Tech-Konzerne beuten Menschen aus

Vollständig automatisiert läuft die Erkennung nicht. Nach wie vor müssen Menschen entscheiden, ob etwas gelöscht werden soll. Es braucht sogar viele Menschen dafür. Sie dürfen aber nicht viel kosten.

Lösungen sind schwierig

Doch selbst wenn es gelänge: Was hätten die Plattformen überhaupt davon? Ihre Investoren wollen Skalierung. Alles muss wachsen, und zwar schneller als erwartet, damit die Aktienkurse steigen. Mit KI lässt sich Wachstum sehr einfach generieren. Mir bringt es zwar nichts, wenn Spotify 500 Millionen neue, langweilige Lieder hat. Aber das scheint egal zu sein – Hauptsache, man kann mit eindrücklichen Kennzahlen um sich werfen.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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