Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 1): Wie Wertstoffe gerettet werden
Hintergrund

Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 1): Wie Wertstoffe gerettet werden

Martina Huber
18.11.2020

Gold, Silber, Kupfer – in alten Mobiltelefonen stecken zahlreiche Wertstoffe, die es zurückzugewinnen gilt. Besondere Herausforderung beim Recycling sind die Lithium-Akkus. Sie können Feuer fangen, sogar explodieren, wenn sie beschädigt werden.

Wir befinden uns auf dem Areal der Solenthaler Recycling AG (Sorec) in Gossau SG, einem von fast 20 Recyclingunternehmen, die in der Schweiz ausgediente Elektro- und Elektronikgeräte recyclen. Hier will ich selbst sehen, was mit ausgedienten Mobiltelefonen und weiteren Geräten geschieht, nachdem wir sie in einem Geschäft oder bei einer Sammelstelle abgegeben haben.

Auf der Wärmeplatte einer Sicherheitswerkbank liegen sieben Smartphones bereit, um geöffnet zu werden. Jean-Pierre greift sich eines, führt die schmale Unterseite des Geräts zu einem Metallspiess, der auf der Arbeitsfläche befestigt ist, und schlägt dann mit dem Hammer mehrmals zu. In den Spalt, der so im Gehäuse entstanden ist, schiebt er einen Schraubenzieher. Ein paar Handgriffe später liegt das Innenleben des Smartphones frei. Der Lithium-Akku ist zwar festgeklebt, aber auf der Wärmeplatte ist der Leim weich geworden. Jean-Pierre kann den Akku nun herausklauben, ohne ihn zu beschädigen. «Ein Akku kann schon heiss werden, wenn man ihn nur verbiegt», sagt er. «Manchmal beginnt er auch zu brennen oder explodiert, wenn man ihn beschädigt.» Daher trägt Jean-Pierre bei der Arbeit Handschuhe, zudem schützen ihn eine Sicherheitsscheibe und eine Absauganlage, die im Fall einer Explosion heisse, ätzende Gase einsaugt, ein Feuerlöscher ist stets griffbereit.

Der Berg an Altgeräten wird immer grösser

Die in Gossau liegenden alten Geräte sind nur ein winziger Bruchteil einer gewaltigen Menge an entsorgten Altgeräten. Die erschreckende Menge von 53,6 Millionen Tonnen ausgedienten Geräte fiel im Jahr 2019 weltweit an. Das zeigt der Bericht «The Global E-Waste-Monitor 2020», den die Universität der Vereinten Nationen, die internationale Fernmeldeunion ITU und weitere Institutionen diesen Juli publiziert haben.

Pro Erdenbewohnerin und Erdenbewohner entspricht die Menge 7,3 Kilogramm. Gerade einmal 17,4 Prozent davon werden nachgewiesenermassen rezykliert, was mit den restlichen 82,6 Prozent passiert ist, weiss niemand so genau. Und wenn sich nichts verändert, wird sich das Problem in Zukunft noch verschärfen: Laut dem Bericht ist der globale Gerätekonsum über die letzten Jahre stetig angestiegen. Und wenn sich die Entwicklung fortsetzt wie bisher, werden es im Jahr 2030 bereits 74 Millionen Tonnen Altgeräte pro Jahr sein, die weltweit anfallen – was etwa dem 7400-fachen Gewicht des Eiffelturms entspricht.

Elektrische und elektronische Geräte (EEE) sind zu einem wesentlichen Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Durch sie profitiert ein Grossteil der Weltbevölkerung von einem höheren Lebensstandard. Aber die Art und Weise, wie wir produzieren, konsumieren, und E-Müll entsorgen, ist nicht nachhaltig.
Vorwort zum Global E-waste Monitor 2020

Das sind Altgeräte, in denen Schadstoffe wie Quecksilber oder PCB stecken, oder Klimagase, die mehr als 1000 Mal stärker zum globalen Treibhauseffekt beitragen als CO2. Und die Altgeräte enthalten Wertstoffe, die Primärrohstoffe ersetzen können, wenn es gelingt, sie zurückzugewinnen. Auf 57 Milliarden US-Dollar schätzt der Bericht den Wert von Gold, Kupfer, Eisen und weiteren Rohstoffen im E-Waste von 2019. All dies ist Grund genug für mich, tiefer ins Thema einzutauchen.

Schweiz: 15 Kilogramm Altgeräte pro Person im Jahr

Detaillierte Daten zur Schweiz finde ich im Fachbericht 2020 der drei Rücknahmesysteme SENS, Swico und SLRS. Demnach werden in der Schweiz 95 Prozent der ausgedienten Elektro- und Elektronikgeräte bei Sammelstellen und im Fachhandel abgegeben und von Recyclingbetrieben verarbeitet. 127'000 Tonnen Altgeräte waren es im vergangenen Jahr, also rund 15 Kilogramm pro Einwohnerin und Einwohner. Darunter 35'800 Tonnen Elektrogrossgeräte wie Backöfen oder Waschmaschinen,19'900 Tonnen Kühl-, Gefrier- und Klimageräte, 28'700 Tonnen Elektrokleingeräte und 41'000 Tonnen Elektronikgeräte. Unter letzteren befanden sich unter anderem 5176 Tonnen Drucker, 1233 Tonnen Laptops, 4649 Tonnen PC-Monitore sowie 124 Tonnen Mobiltelefone. Letztere haben gegenüber 2016 um 6 Prozent zugenommen, wobei die Zunahme deutlicher ausfallen würde, wäre nicht gleichzeitig das Durchschnittsgewicht der Mobiltelefone gesunken.

Lithium-Akkus stecken in immer mehr Geräten

Was geschieht mit all diesen Geräten? Welche Wertstoffe stecken noch in ihnen? Was geschieht mit Schadstoffen? Der Besuch der Recyclinganlage Sorec in Gossau soll mir zumindest eine Ahnung davon vermitteln. So lasse ich mir an einem Nachmittag im September die Recyclinganlage selbst zeigen, die nahe gelegene Sammelstelle und den Zerlegebetrieb Dock St. Gallen, wo Altgeräte nach der Sammlung manuell zerlegt werden, bevor sie in der Mühle der Sorec mechanisch weiterverarbeitet werden. Und auch die Sicherheitswerkbank, an der Jean-Pierre potenziell gefährliche Geräte demontiert. Also Geräte wie Smartphones, Tablets oder E-Books, in denen ein Lithium-Akku verklebt ist, und die sich nur mit Gewalt öffnen lassen.

Etwa zwei Tonnen solcher Geräte werden hier pro Jahr demontiert, erklärt Markus Stengele, Umwelttechniker und Leiter Qualität und Umwelt der Sorec, der mich durch den Betrieb führt. Er ist seit mehr als 20 Jahren im Elektronikschrott-Recycling tätig, und in dieser Zeit habe der Anteil an Altgeräten, die Lithium-Batterien oder Lithium-Akkus enthalten, massiv zugenommen. «Es gibt vermutlich keinen Elektronikschrott-Recycler, der noch nie einen Brand hatte wegen einem Lithium-Akku», sagt er. «Gefährlich wird es, wenn die Akkus beschädigt sind, wenn sie zu heiss werden oder wenn es einen Kurzschluss gibt. Dann können sie sich selber entzünden.» Der Flammpunkt der darin enthaltenen Lösemittel sei ähnlich wie bei Brennspiritus, und eine Lithium-Batterie enthalte etwa das Zehnfache der elektrisch gespeicherten Energie in Form von thermischer Energie, sagt Stengele.

Akkus müssen in spezielle Fässer abgefüllt werden

Deshalb landen die Akkus, die Jean-Pierre aus den Geräten entfernt, in einem UN-geprüften Stahlfass. Es ist hüfthoch und bereits zu drei Vierteln gefüllt mit Akkus und etwas, das ein bisschen an goldenes Katzenstreu erinnert. «Vermiculit», erklärt Stengele und greift sich ein paar der goldenen Körnchen, um zu demonstrieren, wie einfach sie sich zwischen Daumen und Zeigefinger verformen lassen. «Es ist weich und leicht wie Styropor. Es isoliert, schützt vor Stössen, bindet austretende Flüssigkeiten – und wenn sich einmal eine Batterie entzündet, schmilzt das Material mehr oder weniger drumherum. Und es hat den Vorteil, dass es sich beim Transport nicht entmischt.»

Es habe auch Versuche mit Schaumglaskugeln als Füllmaterial gegeben, erklärt er. «Auch die haben eine gute Isolationswirkung. Aber das Problem ist, dass nach dem Transport alle Batterien unten und die Glaskugeln oben sind.» Das Innere des Fasses ist mit einer Plastikfolie ausgekleidet, um direkten Kontakt zwischen Stahl und Akkus und dadurch ausgelöste Kurzschlüsse zu verhindern. Durch ein Entlüftungsventil im Deckel kann im Fall eines Brandes das entstehende Gas entweichen. «So können wir selbst starke Akkus von E-Bikes lagern und transportieren, ohne dass wir befürchten müssen, dass das Ganze in Flammen aufgeht.»

Wertvolles Kobalt wird zurückgewonnen

In solchen Stahlfässern werden die Akkus nach Wimmis im Kanton Bern zur Batrec Industrie AG geliefert, wo sie laut Stengele unter Schutzatmosphäre zerkleinert und so behandelt werden, dass keine Brandgefahr mehr besteht. Die Bestandteile gehen dann weiter ins Ausland zu einer Anlage, wo insbesondere das Kobalt zurückgewonnen wird – das Lithium geht bei diesem Prozess verloren. «Kobalt ist eines der dreckigen Metalle», sagt Stengele. Es werde oft unter sehr fragwürdigen Bedingungen gewonnen, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo, wo oftmals Kinder und Erwachsene ihr Leben aufs Spiel setzen, um es in Jutesäcken aus selbstgegrabenen Tunneln zu schleppen. Ausserdem sei es ziemlich giftig. Gleichzeitig werde das Metall aktuell sehr viel gebraucht für leistungsstarke Akkus, und mit zunehmender Elektromobilität werde es in Zukunft wohl noch wichtiger werden. Man könne Lithium-Akkus zwar auch ohne Kobalt herstellen, aber dann sei die Leistungsdichte geringer. Die Akkus von Mobiltelefonen, Tablets und Laptops enthalten heute in der Regel Kobalt. «Kobalt ist wertvoll, wir sollten möglichst viel davon wieder zurückgewinnen.»

Wertvoll sind auch Gold, Platin, Kupfer und weitere Edelmetalle auf den Leiterplatten von Computern, Tablets und Mobiltelefonen. «In alten Handys ist viel mehr drin als in Smartphones» sagt Stengele. «Bei Leiterplatten, die vor 30 Jahren verbaut worden sind, sieht man das Gold quasi mit dem Pinsel aufgemalt. Heute ist nur noch ein Hauch an Gold auf den Kontakten.» Doch auch moderne Smartphones seien von den Inhaltsstoffen her sehr hochwertig. Wo dies einfach möglich ist, entfernt Jean-Pierre jeweils Displays und Plastikbestandteile sowie Metallabdeckungen oder -gehäuse. Erstere landen in der KVA, letztere in der firmeneigenen Sortieranlage. Der Rest geht nach Belgien zum Schmelzwerk Umicore, einem von drei europäischen Schmelzwerken, die sich auf die Rückgewinnung von Edelmetallen aus Leiterplatten und weiteren Elektronikbestandteilen spezialisiert haben.

Alte Handys liefern pro Tonne mehr Gold als Erz aus Goldminen

Laut Heinz Böni, der bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) die Forschungsgruppe Kritische Materialien und Ressourceneffizienz leitet, können in diesen Schmelzwerken heute aufgrund mehrstufiger Prozesstechnologie an die 20 unterschiedliche Metalle zurückgewonnen werden. «Ein einzelnes Handy enthält wenig Metall, aber eine Tonne alter Handys enthält ungefähr zehnmal mehr Gold als das Erz einer Goldmine. Und auch weitere Metalle sind in alten Mobiltelefonen konzentrierter vorhanden als in Erz aus dem Primärabbau.»

Laut Judith Bellaiche, der Geschäftsführerin des Wirtschaftsverbands Swico, der Rücknahme und Recycling von Geräten aus den Bereichen Informatik, Unterhaltungselektronik, Büro und Telekommunikation organisiert, werden jedes Jahr durchschnittlich 150 Kilogramm Gold aus Mobiltelefonen und weiteren ausgedienten Elektronikgeräten zurückgewonnen «Das klingt nicht nach viel, aber wenn man weiss, wie umweltschädlich Gold beim Abbau ist, macht das sehr viel aus. Insgesamt konnten wir in den letzten zehn Jahren mit der Rückgewinnung von Rohstoffen aus Altgeräten 38 Millionen Tonnen CO2 einsparen.»

Weltweit gibt es noch viel Potenzial

In Altgeräten stecken also wertvolle Rohstoffe, die es zurückzugewinnen gilt. Doch dies ist nur ein Teil der Geschichte. Teil der Geschichte ist auch, dass gewisse Rohstoffe wie etwa Neodym oder Indium, die zu den seltenen Erden zählen, heute noch kaum zurückgewonnen werden, auch weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt. Dass bei uns in der Schweiz das Recycling von Altgeräten gut funktioniert – aber dass dies in vielen Teilen der Welt nicht der Fall ist. Dass der Abbau der Rohstoffe, die in unseren Geräten stecken, sehr umweltschädlich ist, und dass bei uns in der reichen Schweiz viele Geräte im Recycling landen, obschon man sie noch brauchen könnte. Von all dem wird in den weiteren vier Teilen der Serie die Rede sein. Der nächste Teil wird von den Schadstoffen handeln, die in unseren ausgedienten Geräten stecken, und wie aufwändig es ist, sie zu entfernen.

Teil 2, 3 und 4 der Serie kannst du hier lesen.

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 2): Wie Schadstoffe sicher entsorgt werden

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 3): Von Europa auf die Mülldeponien Westafrikas

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 4): Das Problem der Rohstoffe und Seltenen Erden

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 5): Warum alte Geräte ein längeres Leben verdient haben

    von Martina Huber

59 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Ich schreibe als freie Wissenschaftsjournalistin am liebsten vertiefte Geschichten rund um Gesundheit, Umwelt und Wissenschaft.


Smartphone
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Nachhaltigkeit
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar