
Der Schweizer TV-Tag: Das kommt nächstes Jahr im Fernsehen

Am 26. September fand zum 18. Mal der Schweizer Screen-up statt. In einer vollen Maag Halle in Zürich erfuhren wir, was die wichtigsten Sender der Schweizer TV-Landschaft fürs kommende Jahr in petto haben. Ein Bericht über deutsche Promis in der Schweiz, Topmodels und 6000 Franken teure Cappuccinos.
Die Organisatoren des 18. Screen-ups freuen sich. «So voll war es hier noch nie», verkünden sie ganz stolz. Immerhin: Ich und rund weitere 900 Gäste füllen die Halle bis zum letzten Platz aus. Gespannt warten wir darauf zu erfahren, was uns in der nächsten TV-Saison geboten wird. Auf der Bühne kommt alles zu Wort, was in der Schweizer Fernseh-Landschaft Rang und Namen hat: Die RTL Mediengruppe, die SevenOne Media Sender (ProSieben, Sat1, Puls8), die 3 Plus Gruppe (3+, 4+, 5+) und selbstverständlich die Sender der SRG (Schweizer Fernsehen). Wir erfahren allerhand Neues, sind aber auch Zeuge einer Show, die vor allem eines tut: sich selber feiern.
Bertrand Jungo und Alexander Duphorn machen den Anfang. Sie präsentieren uns Zahlen, die veranschaulichen, wie toll sich Live-TV entwickelt. Das Angebot an verfügbaren Sendern hat zugenommen, für jeden ist etwas dabei: egal ob jung oder alt, weiblich oder männlich. Diagramme und Tabellen zeigen Quoten, die in den Himmel schiessen, Pfeile, die steil nach oben zeigen – eine heile TV-Welt. Ich frage mich, wie lange Statistiker suchen mussten, um irgendwoher diese tollen Zahlen aus dem Hut zu zaubern.
Denn dass Live-TV unter der fast erdrückenden Konkurrenz von Streaming-Diensten wie Netflix oder GooglePlay leidet, ist kein Geheimnis. Schliesslich kann ich dort selbst entscheiden, wann ich was sehen will. Und wieviel davon. Sogar das Sportprogramm verschiebt sich auf Streaming-Plattformen wie DAZN. Ob das neue Fernsehprogramm für 2018 etwas daran ändern wird?

Erster Block: Die RTL Mediengruppe macht den Auftakt
Es geht los. Der erste von zahlreichen lauten und emotionalen Trailern läuft. NTV möchte News nicht nur bloss wiedergeben, sondern auch prüfen. Nicht alles, was rumgezwitschert wird, macht zuverlässige Nachrichten aus. Das Doku-Format «Giganten der Geschichte», in dem bekannte Bauwerke mittels aufwändiger CGI wie Legosteine zerlegt werden, geht in die 2. Runde. Ich mag solche CGI-Sachen, das werde ich mir definitiv angucken.
RTL2 verdeutlicht in mehreren, lauten Trailern, dass man von allem etwas «mehr» zeigen möchte. Mehr Reality, mehr Drama, und – natürlich – mehr nackte Haut. In der Sendung «Naked Attraction» steht ein Kandidat des einen Geschlechts in der Mitte. Sechs weitere Kandidaten des anderen Geschlechts ziehen komplett blank und präsentieren sich in abgedeckten Boxen. Der Clou: Die Boxen werden nur Stück für Stück aufgedeckt – das Gesicht kommt zum Schluss. Immer, wenn eine neue Körperpartie aufgedeckt wird, fliegt einer der Kandidaten raus. Das läuft ungefähr so ab: Die Kandidatin in der Mitte sagt, dass der Penis des einen da ganz symmetrisch hänge, beim anderen aber leider etwas weniger, und deshalb fliegt er jetzt raus. Schnell wird mir bewusst, dass es sich hier um eine richtig niveauvolle Dating-Show handelt. Und weil RTL2 «mehr» davon möchte, steht schon die Erweiterung des Formats in der Mache. Bald werden keine x-beliebigen Kandidaten nackig präsentiert, sondern – dramatische Pause – Promis! Ich kann ab all dem nur den Kopf schütteln.
Weiter soll in «Traumhochzeit zum Schnäppchenpreis» Daniela Katzenberger ausgewählten Kandidaten zu einer Hochzeit verhelfen, die... ach, ich glaube der Name sagt eigentlich schon alles.
Etwas weniger laut, aber nicht weniger spannend, wirds dank VOX. Bei der neuen Thriller-Serie «Gone» hat ein amerikanisches Studio eine TV-Show für einen europäischen Sender produziert, gedreht und gecastet – ein Novum. Der Trailer sieht in der Tat vielversprechend aus. Kommt auf meine Watchlist. In «Die Höhle der Löwen» wagen sich Erfinder und Ingenieure in die sprichwörtliche Höhle des Löwen und stellen ihre Business-Ideen (zum Beispiel: Das erste Baby-Spa Deutschlands) vor. Wie bei einer Castingshow wird ihre Idee entweder abgeschmettert oder unterstützt.

Der Sender Nitro erklärt, dass er sich von «RTL» emanzipieren möchte, weshalb der Zusatz «RTL» in Zukunft wegbleibt. Der Fokus wird noch stärker auf das männliche Publikum gelegt. Formate wie «Topgear» oder neu «Mythbusters» haben ihren Weg ins Programm gefunden. Serienmässig möchte man mit Titeln wie «the Blacklist» oder der Neuheit «Taken», welche die Vorgeschichte von Luc Besson’s Filmreihe erzählt, ganz vorne mitmischen.
Ebenfalls nett: Bei Super RTL kommt die Kult-Kindersendung «Super Toy Club» zurück. Hier treten zwei Kinder-Teams in Mini-Spielen gegeneinander an, wobei dem Sieger etwas ganz besonderes erwartet: Ausgerüstet mit einem Einkaufswagen düsen sie durch einen Spielzeugladen und packen so viele Spielzeuge wie möglich ein – bis die Zeit abläuft. Der Traum eines jeden Kindes.
RTL macht beim 1. Screening-Block den Abschluss und bringt dafür Magie ins Spiel: Die Ehrlich Brothers fielen dank fantastischen Zauber-Shows und vollen Hallen in ganz Deutschland auf. RTL gibt ihnen nun mit «Showdown der weltbesten Magier» eine eigene Fernseh-Show. Talente aus aller Welt kämpf... pardon, zaubern dabei um das Preisgeld im Wert von 10 000 Euro. Moderiert wird das von den Ehrlich Brothers, als Jury fungiert das Publikum. Der uns im Saal gezeigte Trailer sieht tatsächlich vielversprechend aus. Ist bei mir vorgemerkt!

Zweiter Block: Promi-Alarm in Zürich
Für Klaas Heufer-Umlauf hagelt es als erstes gleich mal donnernden Applaus. Zusammen mit seinem langjährigen Partner Joko Winterscheidt hat er auf ProSieben mit Sendungen wie «Zirkus Halligalli» oder «Joko gegen Klaas» für Furore gesorgt. Auch in Zürich weiss er das Publikum bestens zu unterhalten, seine Pointen sitzen. «Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel labere», sagt er in seiner unverblümten Art, «denn wer hier überzieht, zahlt 6000 Franken pro Minute. 6000! Oder wie ihr hier in Zürich sagen würdet: einen Cappuccino». Der hat gesessen, das Publikum ist entzückt. In einer lockeren Talk-Runde mit Sofa klamaukt Klaas mit seinen Gästen – die Senderleiter von ProSieben, Puls8 und Sat1. Nebenbei werden auch die Senderneuheiten besprochen.

«Get the fuck out of my house» soll eine Art Big Brother der nächsten Generation sein: 100 Personen werden in ein 100 Quadratmeter grosses Haus gepfercht. Das Prinzip ist simpel: Wer es am längsten darin aushält, gewinnt 100 000 Euro. That’s it! Zu sehen wird diese Show auf ProSieben sein. Die nächste Staffel von «The Big Bang Theory» steht genauso an wie das Spin-Off «Young Sheldon».
Klaas hat noch nicht genug. Er erzählt bildhaft davon, wie er mit seinem Senderleiter zusammengesessen und lange darüber sinniert hätte, was er für ProSieben so machen könne und was der Sender überhaupt brauche. Die Antwort: Eine erfolgreiche Sendung. Das Publikum lacht, Klaas macht weiter. Aufgrund dieser genialen Schlussfolgerung hätte man sich somit entschieden, für das nächste Jahr eine erfolgreiche Sendung auf die Beine zu stellen. Also Klaas und Prosieben. Die Sendung soll darüber hinaus sehr erfolgreich sein. Wir haben es kapiert, aber können ab Klaas’ ansteckendem Schalk nicht anders, als weiter vor uns hinzukichern. Schlussendlich wissen wir nur, dass die neue Show 2018 kommen wird. Und dass sie sehr erfolgreich sein wird.
Nun wird es aber Zeit, den gelungenen Auftritt des deutschen Promis mit einem letzten Paukenschlag zu beenden. Dafür bittet er «eine weitere Dame» auf die Bühne (wieder schmunzeln wir, weil zu diesem Zeitpunkt – abgesehen vom Senderleiter von ProSieben – noch gar keine Dame auf dem Sofa sitzt). Andrea Hämmerli, verantwortlich für Puls8, verkündet voller Stolz und exklusiv am Screen-up, dass das Format mit den nächsten top Models nun endlich in die Schweiz gebracht wird: «Switzerland's next Topmodel». Grosser Applaus, vorallem von den weiblichen Fans. Was die Schweiz im Vergleich zum deutschen Pendant ändern wird: Es wird nicht nur eine Gruppe weiblicher Models geben, sondern auch eine mit männlichen Models. Huiuiui!

Dritter Block: Der Vorhang schliesst sich
Ein wenig tun mir jene, die noch auf die Bühne kommen, leid. Denn nach dem Highlight mit Klaas wirkt alles, was jetzt noch folgt, wie nett gemeintes Beiwerk. Das Gefühl wird dadurch verstärkt, dass uns die Senderleiter nicht wirklich viel Neues zu berichten haben. Show- und Tanzeinlagen nehmen Oberhand, um die gebuchte Zeit runterzubringen. Wirkliche Inhalte nehmen ab. Falls du beim Lesen das Gefühl bekommst, dass der dritte und letzte Teil abgekürzt wirkt – nun ja, das war auch mein Eindruck.
Als erstes feiert Teleclub eine Premiere. Der Sender ist in diesem Jahr zum ersten Mal beim Screen-Up dabei und veraunschaulicht in einem schicken Trailer, dass man Sportübertragungen der Uefa Champions League oder der nationalen Eishockey-Spielen auch weiterhin durchführen werde, teilweise sogar exklusiv.
Eher auf die billige Masche mit viel nackter Haut setzt die 3 Plus Gruppe. Senderchef Dominik Kaiser füllt die Bühne mit Bewerberinnen vom Massencasting für die «Miss-Schweiz-Wahl», die zum ersten mal auf 3+ ausgestrahlt wird. Das ist durchaus nett anzuschauen, das inhaltliche Niveau der gestellten Interviews variiert leider irgendwo zwischen unfreiwillig komisch und platt. Um noch ein wenig Zeit totzuschlagen, darf Ex-Bachelor Janosch Nietlispach den Missen-Kanditatinnen ein letztes Mal fleissig Rosen verteilen, bevor er von seinem Nachfolger Joel Herger in der neuen Staffel «der Bachelor» abgelöst wird.
Das Comedy-Duo Unterbüsser beendet die Screenings mit den Neuheiten der SRG. Die Zuschauer können sich unter anderem auf «Generalstreik 1918» freuen, einer aufwändig produzierten Doku-Fiktion à la «Gotthard». Auch für Sportfans wird mit «Morgen sind wir Champions» eine spannende Doku-Serie geboten, die einige junge Fussball-Talente auf ihrem Weg zum ersten Profi-Vertrag begleitet – inklusive sämtlichen Stolpersteinen und Schicksalsschläge, die zum gnadenlosen Geschäft dazugehören. Eine weitere Staffel vom berühmtesten «Bestatter» der Schweiz darf natürlich auch nicht fehlen.

The show must go on!
Der Tag des Schweizer TV ist offiziell zu Ende. Auf einem Mini-Streetfood-Festival feiern wir ausgelassen und, zu unserem positiven Überraschung, sorgt der Sänger Samu Haber bei einem stimmungsvollen Unplugged-Konzert für Gänsehautmomente.
Nun gilt es, noch eine Frage zu beantworten: Hat Live-TV weiterhin eine Zukunft? Die Verantwortlichen, die nach Bertrand Jungo und Alexander Duphorn die Bühne betreten haben, blasten wenig überraschend in ein ähnlich optimistisches Horn wie die beiden Veranstalter zuvor. Als ob Streaming-Dienste wie Netflix oder DAZN absolut keine Rolle im hart umkämpften Markt um Quoten spielten. Mir wird bewusst, dass Screen-up viel Show geboten hat – aber auch viel Schein. Wie echtes Fernsehen eben. Die ständige Selbstbeweihräucherung nervte und zehrte an meiner Geduld.
Dennoch wäre meine Antwort auf die gestellte Frage «nein, noch nicht». Die Sender setzen zunehmends auf Eigenproduktionen, denn damit sorgen sie für Alleinstellungsmerkmale, die nicht so einfach ins Streaming-TV abwandern können. Sie versuchen, gegen die geballte Kraft von dutzenden US-Serien und Filmen auf Abruf dagegen zu halten. Das kann durchaus funktionieren, finde ich. Was meint ihr? Wie oft schaut ihr euch Live-TV noch an? Was sind eure Lieblingssendungen? Schreibt's mir in den Kommentaren!
Quelle Bilder: screen-up.ch/#movie

Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»