

Der Maestro tritt ab: Ennio Morricone ist tot
Ennio Morricone, der legendäre Filmkomponist gefeierter Werke wie «The Good, the Bad and the Ugly» und «Once Upon a Time in the West» ist für immer verstummt. Ein Nachruf.
Ennio Morricone ist tot.
Die traurige Nachricht hat Giorgio Assumma, der Anwalt der Familie, der Welt überbracht. Demnach sei der legendäre Filmkomponist in der Nacht von Sonntag auf Montag in einer Klinik Roms gestorben. Zum Tode geführt hat eine Komplikation nach einem Sturz vergangene Woche.
Bis zum letzten Augenblick war Morricone «völlig klar» und «von grosser Würde», so der Anwalt. Morricone, zu dessen berühmtesten Werken die Filmmusik zu «Once Upon a Time in the West» und «The Good, the Bad and the Ugly» gehören, ist 91 Jahre alt geworden.
Ennio Morricone, der Maestro
Nur seine riesengrosse Hornbrille machte Ennio Morricone scheinbar unscheinbar. Tatsächlich komponierte der Maestro – so wurde er stets genannt – zu über 500 Filmen die Musik. Stets blieb der bescheidene Italiener mit den Füssen am Boden: Trotz zahlreicher verlockender Angebote aus Hollywood, darunter eine Gratis-Villa, hat er seine Heimat, die ewige Stadt Roms, zeitlebens nie verlassen.
Sein kompositorisches Handwerk verfeinert Morricone vor allem in den 1950er-Jahren beim italienischen Rundfunk. Eine Karriere als Komponist klassischer Musik strebt der Römer dennoch nie an. Zu wenig Geld sei da zu verdienen, wird er Jahre später sagen.
Einen guten Ruf als Meister der leichten Muse eignet er sich dennoch früh an. Frisch sei seine Musik. Sofort ins Ohr gehend und doch nicht banal. Unzählige Schlager schreibt Morricone. Darunter auch Partymusik und Schmonzetten – wenig geistreiche, teils alberne oder kitschige Kompositionen. Wie ein Verrückter zitiert er seine Lieblingskomponisten Beethoven und Bach, schmuggelt schräge Geräusche ein und behandelt menschliche Stimmen wie Instrumente.
Ein Vorgeschmack auf seinen späteren Filmmusikstil, der die Welt im Sturm erobern sollte.
Ennio Morricone und eine Hand voll Dollar
1961 schreibt Ennio Morricone für Luciano Salces Kriegssatire «Il federale» seine erste Filmmusik. Gleichzeitig schliesst er sich der «Gruppo di Improvvisazione di Nuova Consonanza» an. «Il gruppo», wie sie sich auch nennt – zu deutsch: die Gruppe –, widmet sich dem «Antimusikalischen». Oder anders gesagt: Sie will keine normalen Klänge erzeugen, sondern ungewohnte Klänge, die nicht die üblichen Klänge des entsprechenden Instruments sind.
Es ist dieser ungewöhnliche Stil, der Morricone jene Empfehlung eines Produzenten einbringt, die sein Leben verändert. Denn 1964 trifft sich Sergio Leone mit dem Komponisten. Während des Treffens eröffnet Leone dem verdutzten Morricone, dass die beiden zur selben Schule gegangen seien. Dass sie gar in derselben Reihe gehockt hätten. Und zückt dabei ein Foto – als Beleg.
Morricone willigt ein. Das Hauptthema soll ein bereits neunjähriges Werk des Maestros sein. Es soll neu arrangiert und durch einen Pfeiffer ergänzt werden. Wie gesagt. Ungewöhnlich.
«A Fistful of Dollars» ist nicht nur der Start der Dollar-Trilogie und Begründer des Italo-Westerns. Es ist auch Morricones internationaler Durchbruch. Sergio Leone ist von seinem Komponisten gar so begeistert, dass er keinen Film mehr ohne seinen Maestro drehen würde. Darunter auch der 1966 erschienene Abschluss der Dollar-Trilogie: «The Good, the Bad and the Ugly», dessen Hauptthema Ennio Morricones womöglich berühmtestes Werk ist.
Morricones Filmmusik beschreiben Kritiker als «Klapperschlange in einer Trommel». Denn der römische Maestro setzt nicht immer klassisch-traditionell aufs grosse Orchester. Mal um Mal greift er auf Maultrommeln, E-Gitarren, Harfen oder Panflöten zurück. Mehr noch. Auch Pfiffe, Schreie, knallende Peitschen, Kojotengeheule, Eulenrufe und Pistolenschüsse sind integrer Teil seiner Kompositionen.
Kein anderer Komponist hat die musikalische Welt des Westerns mehr geprägt als Ennio Morricone.
Ennio Morricones langes Warten auf den Oscar
Erst 2007 wird Morricone ein Ehren-Oscar für sein Lebenswerk überreicht – ein Pflästerchen. Sein Auftritt ist dennoch legendär. Ein Beispiel an Aufrichtigkeit, Dankbarkeit und bewegender Demut. Denn das Erste, was der Mann tut, der auch abseits des Italo-Westerns die Musik zu Werken wie «The Untouchables», «The Legend of 1900» oder «Cinema Paradiso» geschrieben hat, ist, sich tief vor dem tosenden Applaus seines Publikums zu verbeugen.
Dann wollen dem Maestro, der lieber Musik statt Worte für sich sprechen lässt, die Danksagungen gar nicht mehr aus dem Mund. Zu gerührt ist er. Zu oft versagt ihm die Stimme. Die anwesenden Schauspielerinnen und Schauspieler, eigentlich Meister der Emotionen, können selbst kaum die Tränen zurückhalten.
Zuerst der Dank an jene, die ihm diese Auszeichnung während seiner bis dahin beinahe 60-jährigen Schaffenszeit gewünscht haben. Dann der Dank an die Regisseure, die ihm die Freiheit boten, Musik zu schaffen, die für den Film, den Regisseur und das Publikum taugte, ohne auf seine eigene Vorstellung von Musik zu verzichten.
Und schlussendlich die Widmung und der Dank an seine Frau, Maria Travia, die er stets als oberste Zensurstelle betrachtete: Erst, wenn ihr ein Werk gefiel, schickte Morricone es an die Produzenten.
2015 zeichnet ihn die Akademie schliesslich doch noch für eine konkrete Komposition aus – für Quentin Tarantinos «The Hateful Eight». Eine Rückkehr zum Western. Ein Kreis, der sich schliesst. Dabei wollte der mittlerweile 87-Jährige gar nicht mehr zur Preisverleihung anreisen; zu oft wurde er schon von der Academy enttäuscht.
Ganz wie es sich für Morricone, dessen Blick zunächst mürrisch, dann aber warm wirkte, gehört, widmet er den Oscar seiner Frau Maria. Schliesslich sei es nicht so einfach, es so lange an seiner Seite auszuhalten, kommentiert der Maestro mit seinem für ihn typischen Schalk.
Jetzt ist er verstummt.
Ciao, Ennio Morricone. Mögest du in Frieden ruhen.
Titelbild: Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.
Vom neuen iPhone bis zur Auferstehung der Mode aus den 80er-Jahren. Die Redaktion ordnet ein.
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