Hintergrund

CES Behind the Scenes: Der Ansturm am ersten Tag, Todsünden und Granit

Dies ist die Geschichte vom ersten Dreh an der CES 2019. Eine Geschichte von Chaos, Macht und wie eine Frau auf einem Tisch einen Mann zur Weissglut treiben kann.

Das hätten wir nicht erwartet.

Denn Erwartungen haben Videoproduzentin Stephanie Tresch und ich einige an der CES 2019 in Las Vegas. Wir wollen Neuheiten sehen. Nicht zwingend Dinge, die du heute oder im laufenden Jahr kaufen kannst, sondern etwas Zukunftsmusik. Dinge, die unsere Welt bestimmen werden, ob es uns gefällt oder nicht.

Denn die CES ist viel mehr als nur eine Ausstellung von neuen glänzenden Dingen. Sie ist ein Ort, an dem Ideen ausgetauscht werden, offen über die Zukunft spekuliert wird und wo sich Visionäre mit Financiers treffen. Und dazwischen: Zwei Schweizer Journalisten mit guten Schuhen und Kameras.

Zwei unter 180 000.

Der Andrang am LG-Stand ist gross
Der Andrang am LG-Stand ist gross

Besagte 180 000 Besucher aus allen Ecken der Wirtschaft, von schwedischen Consultants über chinesischen Engineers bis hin zu israelischen Investoren, wollten am ersten Tag die heissesten Trends sehen. Dies ist die Geschichte vom Dreh zum Kapsel-Bierzapfhahn-Video.

LG, morgens um 10 Uhr

Die Türen der CES in Las Vegas, einer Stadt die so gegen Mittag wach wird, öffnen sich um 10 Uhr. Stephanie und ich sind also gegen 9.30 Uhr auf dem Gelände, lassen die Sicherheitskräfte in unsere Rucksäcke blicken und gehen durch den Metalldetektor. Ja, das ist ein Karabinerhaken an meiner Hose. Nein, den kann ich nicht hierlassen. Den brauche ich. Unser Equipment ist eine Mischung aus Technologie und Wanderkleidung und -stiefel.

Hinter uns Chinesen im Anzug, vor uns ein bewusst jugendlich aussehender Youtuber, Alter etwa Ende 30. Die Security ist freundlich, aber bestimmt. Ein gelber Kleber wird an meinem Rucksack befestigt. «Bag checked». Freie Fahrt. Für Journalisten gelten Sonderregeln, wenn es um Taschen und Rucksäcke geht. Businessmännern und -frauen – letztere nicht besonders zahlreich – dürfen nur einen Koffer mitnehmen, der keine Rollen haben darf. «Sonst gewinnen die Terroristen», scherze ich. Nicht wirklich lustig.

Ein Blick zurück, das letzte bisschen Tageslicht. Denn wir werden bis etwa 17 Uhr in den Hallen sein, die keine Fenster haben. Die Schlange am Security Checkpoint ist zur Masse geworden, die Drop-Off-Zone für Taxis, Lyft und Uber gleicht einer Blechlawine. Verzweifelte Verkehrslotsen probieren noch zu retten, was zu retten ist. Die schwere, etwa drei Meter hohe Tür zur Central Hall schliesst sich.

Baidu links, LG rechts

Galaxus Editor Simon Balissat hat uns von Zürich aus gebeten «ein paar Bilder oder vielleicht sogar ein Video» vom LG Bierzapfhahn zu machen.

LG hat sich gedacht, dass vielleicht nicht alle ganz erfüllt sind, wenn sie nur Kapselkaffee trinken können. Daher haben sie einen Zapfhahn entwickelt, der dir dein Bier braut. Drei Kapseln, fünf Liter Wasser und in nur zwei Wochen kannst du dir frisch gegärtes Bier aus dem Küchengerät zapfen.

Den Tag mit Bier zu beginnen klingt doch nicht schlecht, oder?

Am Stand ist gerade eine Präsentation am laufen. Sie soll wohl spontan wirken, wie wenn zwei dynamisch aber überall sozialkompatibel gestylte Männer miteinander in der Küche schwatzen. Macht man ja so. Doch der Dialog holpert, ist weit von natürlicher Sprache entfernt und wirkt wie eine schlechte Teleshopping-Werbung. Stephanie und ich bemerken einen Mann im Anzug, der den Dialog auf einem Papier mitliest. Der Meister des Scripts wird uns in wenigen Minuten auf die Nerven gehen. Aber das wissen wir noch nicht.

Nach Ende der Präsentation preschen Asiaten, Schweden, Israelis und Schweizer in die Modellküche im Stand LGs. Hinter dem Zapfhahn steht ein rundlicher Amerikaner, der bestimmt gerne auch ein Bier hätte, und erzählt uns etwas über seinen Automaten.

«Three Minutes», sagt der Script-Meister während Stephanie die Kamera auspackt. Mehr Zeit kann oder will er uns nicht geben.

Ich nicke, der Script-Meister geht jemand anderen einweisen.

Stephanie drückt «Record» auf ihrer Sony a7siii, ich gebe in etwa das wieder, was mir Simon aus Zürich mitgeteilt hat und was der Amerikaner sonst noch so hinzugefügt hat. Den Teleshopping-Teil zum Zapfhahn haben wir auf der Suche nach selbigem verpasst.

Stephanie begeht eine Todsünde

Wir machen genau einen Take. Ich werde geschubst, Stephanie wird geschubst. Nach einer Minute oder so ist Schluss. Mehr liegt nicht drin. Die zwei weiteren Minuten nutzt die Videoproduzentin dazu, Close Ups zu schiessen. Sie bittet schnell um Erlaubnis, bekommt sie auch und klettert auf den Tisch, auf dem der Zapfhahn steht.

Das gefällt dem Script-Meister nicht.

«She is not allowed on the table», sagt er.

Ich entgegne, dass das schon so seine Richtigkeit hat. Denn ich informiere die Leute gerne darüber, dass unsere Vergehen gegen ihre Richtlinien in Ordnung sind. Manchmal glauben sie mir das sogar. Der Script-Meister aber nicht.

«Sie macht die Oberfläche kaputt», sagt er.

Ja ne, is klar. Die Granitoberfläche der Modellküche wird unter dem Gewicht der Videoproduzentin bestimmt irreparablen Schaden davontragen. Ich könnte das ja verstehen, wenn ich mit Stiefeln und Karabinerhaken an der Hose und mehr als doppelt so viel Gewicht wie sie auf dem Tisch rumkraxeln würde. Aber Stephanie ist zierlich und trägt Stoffhosen.

«Sie muss meine Erlaubnis haben. Nicht die von dem Herren hinter dem Tisch», sagt der Script-Meister, der offensichtlich auch Tischmeister ist. Generell will er der Meister über den ganzen Stand sein.

«I am the boss here. You need my permission for everything», sagt er.

Plan B also, denn der Meister über alles und jeden in diesem Chaos wird sich nicht beirren lassen. Ich spiele auf Zeit, stelle seltsame Fragen, foppe den Herren im Anzug, der bestimmt mehr kostet als mein ganzes Outfit zusammen und irritiere ihn ganz bewusst.

Das mag er nicht. Mich mag er auch nicht. Stephanie auf dem Tisch erst recht nicht.

Mir ist's auf einmal recht, denn Stephanie klettert wieder vom Tisch, seufzt und ruft mir etwas zu, das ich als «ist okay» interpretiere.

Ich entschuldige mich beim LG-Grossmeister und wir verschwinden in die Menge.

Sorry, Simon, mehr liegt nicht drin. Und Bier gab es auch keines.

Alle Artikel zur CES 2019 findest du hier.

13 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Der Sheriff ist back in town: Ich genieße eine Ballertour durch «The Division 2»

    von Debora Pape

  • Hintergrund

    «Civilization 7» angespielt: fehlerhaft und unbalanciert

    von Simon Balissat

  • Hintergrund

    Ich habe endlich «Hollow Knight» gezockt – meine Erwartungen an «Silksong» sind nun riesig

    von Kevin Hofer

10 Kommentare

Avatar
later