Hintergrund

And cut! Wenn tapfere Herr-der-Ringe-Krieger zu Tausenden davonlaufen

Luca Fontana
3.10.2018

Du denkst, nur Drehbuchautoren können gute Geschichten schreiben? Pustekuchen! Kuriositäten, lustige Anekdoten und verrücktes Allerlei rund ums Kino und Filmemachen – darum soll’s hier gehen. Heute: Streikende CGI-Soldaten in «Der Herr der Ringe».

Das gesamte berittene Heer von Rohan – sie nennen sich «Rohirrim», also Pferdeherren – sammelt sich auf den Feldern des Pelennors. Über 6000 Reiter, angeführt vom stolzen König Théoden, blicken dem beinahe sicheren Tod entgegen. Die Chancen stehen schlecht. Nicht weniger als 200 000 Orcs belagern Gondor, eine der letzten freien Städte der Menschen in Mittelerde.

«Auf! Auf ihr Reiter Théodens», ruft der König ein letztes Mal seinem Heer entgegen, «Reitet! Reitet nun zur Vernichtung – und zum Ende der Welt. Tod!»

Die stolzen Pferdeherren echoen den Ruf, ermutigt von ihrem König, aber wohl wissend, dass es ihr Ende sein würde.

«Tod! Tod! Tod!»

Ein Horn erklingt, und die Streitmacht bewegt sich. Zuerst ganz langsam, wie eine mächtige Maschinerie, die zu lange nicht genutzt wurde. Dann nehmen die sechstausend Pferde Tempo auf. Für die Reiter Rohans wird es der letzte Ritt sein...

… aber was für einer.

Aber kurios ist die Anekdote über terrorisierte CGI-Soldaten, die ungewollt und scheinbar voller Entsetzen vom Schlachtfeld fliehen, trotzdem.

Massive: Die bahnbrechende Computer-Software

Die Idee hinter Massive ist einfach: Computeranimierte 3D-Modelle, sogenannte Agenten, bekommen ein gemeinsames Ziel und sollen gleichzeitig unabhängig voneinander entscheiden, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Das klingt ein bisschen wie künstliche Intelligenz, ist es aber nicht.

Treten über 200 000 Agenten zum Kampf an, kann da vereinzelt schon mal ein weniger wahrscheinliches Verhalten vorkommen, sofern es als mögliche Reaktion programmiert ist. Eine Armee von Massive-Agenten verhält sich somit nie genau gleich – aber gesamthaft trotzdem logisch.

Erste Versuche fanden CGI-Soldaten zum Davonlaufen

Die Agenten müssten nun wissen, was zu tun ist. Und wie. Dann steht einer ordentlichen Klopperei nichts mehr im Wege. Zumindest dachten das die Programmierer bei ihren ersten Tests. Angeführt wurde das Entwicklerteam von Stephen Regelous. In einem Making-Of zu «Herr der Ringe» sagte er:

«Anfangs haben wir 1000 silberne Soldaten gegen 1000 goldene Soldaten antreten lassen. Wir haben die Simulation also gestartet und das Geschehen gespannt beobachtet. Dann geschah etwas Unerwartetes: In der Ferne haben einige hundert Soldaten versucht, sich über die Hügel davon zu machen.»

Ohalätz! Angst, Panik, oder sogar Fahnenflucht?

Zunächst ist den Entwicklern nicht ganz klar gewesen, was da schiefgelaufen war. Haben sie die Agenten tatsächlich so clever gemacht, dass sie ganz von selbst darauf gekommen sind, dass ein Kampf absoluter Wahnsinn sei? So im Stile von: «Fuck this sh*t, I’m out»?

«Eine gute Geschichte, aber nein», sagt Regelous im Making-Of, «den kleinen Bastarden [so nennt er die Agenten] sind die möglichen Reaktionen ja vorgegeben. Der Selbsterhaltungstrieb gehört nicht dazu.»

Warum also die Fluchtversuche?

Erst viele Tests später sind die Entwickler dahinter gekommen. Der Ursprung des Problems lag in den zwei folgenden Verhaltensanweisungen:

  1. Suche nach mehr Platz, wenn du in einer überfüllten Region bist
  2. Renne solange, bis du einen Feind zum Kämpfen findest

Also. Agenten preschen in einer riesengrossen Armee gemeinsam in eine Richtung und treffen auf den Feind. Dann wird der Platz eng. Manche Agenten schauen sich nach einem weniger überfüllten Ort um, und den finden sie – natürlich – in der genau entgegengesetzten Richtung. Dann rennen sie los, und weil es in der Richtung ja keine Feinde gibt, hören sie nicht auf, weiter zu rennen. Die Fahnenflucht begünstigt hat dann noch eine dritte Verhaltensanweisung:

  1. Im Zweifelsfall folgst du deinen Freunden

Ganz nach dem Motto: «Okay, wenn der abhaut, dann haue ich auch ab.»

Gelöst wurde das Problem, in dem die Prioritätenliste angepasst wurde. Tja. Jetzt kennst du die Geschichte darüber, wie in «Herr der Ringe» todesmutige Soldaten scheinbar total terrorisiert dem Kampf zu entfliehen versuchten, obwohl sie eigentlich nichts weiter getan haben, als ganz brav Befehle zu befolgen.

Kennst auch du eine haarsträubende Geschichte oder lustige Anekdote rund ums Kino oder Filmemachen? Dann schreib sie in die Kommentare oder mir ein E-Mail. Vielleicht ist es genau deine Geschichte, die ich in der nächsten «And cut!»-Ausgabe erzählen werde.

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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