Hintergrund

And cut! Andy Serkis wühlt im Dreck, um Gollum zu spielen, und hätte dafür einen Oscar verdient

Luca Fontana
17.1.2019

Warum wirkt Gollum aus «Lord of the Rings» so realistisch? Weil er von einem echten Menschen gespielt und erst danach am Computer animiert wurde: Schauspieler Andy Serkis gibt sich am Set der totalen Lächerlichkeit Preis, und hätte dafür einen Oscar verdient.

Peter Jacksons Romanverfilmung der «Lord of the Rings»-Trilogie startete 2001 in den Kinos. Bahnbrechende Computereffekte und riesige Massenschlachten entführten das Publikum in eine bis dato nie dagewesene fantastische Fantasywelt.

Serkis Geschichte beginnt im Strampelanzug.

Am Anfang war Gollum… anders

Tatsächlich ist Gollum im ersten Film nur einige Sekunden zu sehen: Er wandelt im Schatten und huscht nur in jener Szene kurz durchs Licht, in der Gandalf (Sir Ian McKellen) Frodo (Elijah Wood) erklärt, weshalb Gollum so versessen auf den Ring der Macht ist. Gollums Hautfarbe ist dunkelgrau, in seinen Augen spiegelt sich ein diabolischer Blick.

«Er hasst und liebt den Ring, genauso wie er sich selber hasst und liebt», sagt Gandalf.

Zu sehen ist der ursprüngliche Gollum ab Minute 0:39

Gollum sieht zu diesem Zeitpunkt anders aus, als du ihn kennst. Denn Weta Workshops Art Departmenet hat sein Aussehen während der Vorproduktion bereits festgelegt. Falls du es nicht weisst: Beim Filmemachen dient die Vorproduktion unter anderem dazu, die visuellen Effekte, die während der Nachproduktion des Films erstellt werden, vorauszuplanen.

Erst mit dem Auftauchen Serkis im April 2000 erwacht Gollum vollends zum Leben.

Ein Engländer im weissen Strampelanzug betritt das Set

Andy Serkis macht Ernst. Im Strampelanzug. Der ist da, damit der Engländer später einfacher aus dem Bild retuschiert und durch ein Computermodell ersetzt werden kann. Serkis blendet das aus. Tag für Tag spielt er sich die Seele aus dem Leib, als ob es auf seine Performance ankäme. Kriechend. Schlurfend. Spuckend. Er gibt sich der Lächerlichkeit Preis. Egal. Er will seiner Rolle gerecht werden, und gibt alles.

Das gelingt ihm. Gollum ist schon in den Büchern eine tragische Figur. In den Filmen verleiht Serkis Gollums Charakter noch mehr Tiefe. Er verkörpert ihn als naiv-sympathische Kreatur, die ihr wahres Selbst sucht, das sie durch die Korrumption durch den einen Ring verloren hat.

Regisseur Peter Jackson wird klar: Serkis spielt Gollum nicht bloss, er ist Gollum. Sein ausdrucksstarkes Spiel, Gollums würgend-krächzende Stimme – beides ist Teil ein und derselben Performance. Genau so muss das in den Film. Mitten in der Filmproduktion trifft Jackson eine Entscheidung: Gollum soll generalüberholt werden. Die Welt der Computeranimation wird nie wieder dieselbe sein.

Aber das weiss zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Der Grundstein für Motion und Performance Capturing

In Rekordzeit entwerfen die Special-Effect-Artisten Weta Digitals ein neues Aussehen für Gollum. Gerade um die Mundwinkel und Nase herum bekommt die Kreatur viel mehr Ähnlichkeit mit dem Schauspieler. Dadurch lässt sich die Mimik Serkis einfacher auf das Computermodell Gollums übertragen.

Das reicht Jackson nicht. Er will noch weiter gehen. Zwei relativ unausgereifte Technologien kommen zum Einsatz: «Motion Capturing» und «Performance Capturing».

Dann der ungewürdigte Erfolg

Der Plan geht auf. Den Programmierern gelingt es, Andy Serkis Bewegungen und Schauspiel auf Gollum zu übertragen. Gollum wird über Nacht zu einem der bekanntesten Charaktere der gesamten Lord-of-the-Rings-Saga.

Sméagol vs. Gollum, eine Szene mit Gänsehaut-Garantie

Oben, in der vielleicht berühmtesten und wichtigsten Szene Gollums, streitet sich Sméagol – so der ursprüngliche Name des einstigen Hobbits – mit seiner niederträchtigen und vom Ring verdorbenen zweiten Persönlichkeit Gollum. Gollum will den Ringträger, Frodo, im Schlaf töten, um an den Ring zu gelangen. Sméagol hingegen will sich vom Einfluss des Ringes lossagen. Für immer.

Es sind Szenen wie diese, die Gollum so real wirken lassen. Viele können nicht anders, als nach einem Oscar für die beste schauspielerische Leistung zu verlangen. Für eine computeranimierte Figur, wohlgemerkt. Ein Novum.

Und vielleicht eine kleine Absurdität.

Eigentlich ein schlechter Witz. Denn so gesehen müsste immer die Figur, die von einem Schauspieler gespielt wird, für den Oscar nominiert werden. Aber die Academy führt ein weiteres Argument ins Feld, das sich nicht einfach wegdiskutieren lässt: Wo hört Serkis Performance als Gollum auf, und wo beginnt die Arbeit der Special-Effects-Artisten? Wann hat der Programmierer hier den Mundwinkel etwas weiter verzogen, und dort die Augenbraue ein wenig mehr gehoben?

Das lässt sich unmöglich sagen. Gollum ist kein Mensch, sondern stammt aus dem Computer. Er ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Schauspieler, Regisseur und Programmierer. Ungerecht ist es trotzdem, dass der Schauspieler – die wohl wichtigste Komponente dieses Trios – nie einen Preis gewinnen wird, weil die Academy partout keine Mo-Cap-Performances berücksichtigen oder wenigstens eine separate Kategorie dafür einführen will.

Und was macht Serkis heute?

Für Serkis hat die Planet-der-Affen-Trilogie vor allem einen Effekt: Endlich beginnen die Zuschauer, über die technologischen Komponenten des Motion Capturings hinwegzusehen, um sich stattdessen auf die Menschlichkeit der Performance dahinter zu konzentrieren.

Heute ist Serkis gefragter denn je. Und dabei begann alles mit einem Mann im weissen Strampelanzug, der im Dreck wühlend einem Ring nachjagte.

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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