Produkttest

Review: Apples iPhone 11 überzeugt – günstig ist aber anders

Luca Fontana
11.11.2019

Hält das iPhone 11 das Versprechen des günstigen iPhones? Ja und nein. Hard- und Software lassen kaum zu wünschen übrig. Das Kamerasystem ist vielfältig und gut. Aber für den Preis kriegst du’s woanders auch – wenn nicht besser.

Vor etwas mehr als einen Monat habe ich über meine ersten Eindrücke mit dem iPhone 11 berichtet. Das Phone habe ich dort als «das Apple-Smartphone für jedermann» bezeichnet, weil es viel günstiger als seine Geschwister ist aber gleichzeitig die wichtigsten Features teilt.

Wieviel günstiger ist das iPhone 11 wirklich?

Vergleichstabelle: Klick!

Sicher, die etwas bessere Akkulaufzeit und das AMOLED-Display des Pro-Modells gefallen. Den happigen Aufpreis von 390 Franken rechtfertigen sie nicht. Greifst du zum iPhone Pro Max, sind es sogar 490 Franken. Lächerlich. Gerade, weil du zum Preis des iPhone 11 bei der Konkurrenz genau dasselbe bekommst wie beim iPhone 11 Pro. Teils sogar mehr.

Fangen wir beim Display an. Das iPhone 11 hat kein AMOLED-Screen wie bei der Konkurrenz in ähnlicher Preisklasse, sondern «nur» ein LCD-Panel.

iPhone 11

  • Liquid Retina HD Display
  • Auflösung: 1792×828 Pixel
  • Pixeldichte: 326ppi
  • Kontrast­verhältnis: 1400:1
  • Maximale Helligkeit: 625 Nits

Beim OnePlus 7T Pro, das ebenfalls erst seit kurzem auf dem Markt ist, kriegst du zum fast gleichen Preis ein AMOLED-Screen, das mit seinem 6,67-Zoll-Display nicht nur grösser ist, sondern auch eine höhere Pixeldichte hat; das Bild ist schärfer.

One Plus 7T Pro

  • AMOLED Display
  • Auflösung: 3120×1440 Pixel
  • Pixeldichte: 516ppi
  • Maximale Helligkeit: 1000 Nits

Und das ist nur einer von vielen Smartphone-Konkurrenten aus dem asiatischen Raum, die es Display technisch besser machen und meistens nicht teurer sind als das iPhone 11.

Das da oben soll aber nicht polemisch rüberkommen. Nein, ich habe mir in den vergangenen Wochen zu keinem Zeitpunkt gedacht: Jesses, ist das ein mieser Bildschirm. Im Gegenteil. Einmal sagte ich zu Kollege Phil, dass das LCD des iPhones fast so schön knallige Farben macht wie mein privates OnePlus 6T mit seinem AMOLED-Display.

Schlecht ist das Display des iPhone 11 also nicht: Pixeldichte-Unterschiede auf so kleinen Screens siehst du kaum von blossem Auge, und tagsüber hatte ich nie das Gefühl, dass das iPhone 11 zu wenig hell strahlt. Trotzdem: Wenn ich mehr als 800 Franken für ein Phone ausgebe, dann erwarte ich die beste Displaytechnologie.

Nein, das iPhone 11 ist nicht günstig. Es lässt dir zwar die Wahl, ob du auf gewisse Features wie AMOLED-Display oder den grossen Systemspeicher verzichten kannst, um dir eine tatsächlich günstigere iPhone-Version anzubieten. Aber wenn du ausschliesslich Flagship-Specs willst, dann gibst du locker 1000 Franken und mehr aus.

Sag du mir, ob du das iPhone 11 immer noch ein günstiges Smartphone findest.

Trotzdem: Die Apple-Experience zieht

Ein Gefühl werde ich jenseits der Diskussion, ob das iPhone 11 günstig ist oder nicht, dennoch nicht los: dass ich vom Phone begeisterter bin, als ich es sein sollte. Gerade designmässig. Denn die Smartphone-Hersteller aus Cupertino, Kalifornien, erfinden überhaupt nichts neu. Und obwohl ich es immer noch recht teuer finde, mag ich das iPhone 11 auf Anhieb.

Kleiner Kasten mit abgerundeten Ecken? Check. Doppel-Kamera-Knubbel auf der Rückseite? Jawoll. In Aluminium gefasste Glashülle? Auch das hatten wir schon. Ich müsste eigentlich angewidert sein ob so wenig Innovation. Nur bin ich es nicht. Ich mag, wie sich die 194 Gramm, die mir ein angenehmes «Ja, hier steckt etwas drin, das Power hat» vermitteln, in Händen anfühlen. Die 8.3mm-Dicke ist perfekt. Das Glas lässt das iPhone edel wirken.

Formvollendung.

Beim Aktivieren des Screens ein Dämpfer: Ein dicker, schwarzer Rahmen um das Display herum lässt das Phone wirken, als ob es in eine Schutzhülle gepackt worden wäre. Weniger «Infinity»-Feeling à la Samsung Galaxy S10+ oder Huawei P30 Pro wäre ja nicht mal aus Versehen möglich. Eigentlich sollte ich genervt sein. Bin es aber nicht. Schon wieder dieses Gefühl, dass ich vom iPhone zu begeistert bin.

Aber die Apps öffnen sich geschmeidig und elegant, perfekt animiert bis ins kleinste Detail. Offene Tabs schweben nebeneinander, wenn du hin- und herwischst. Nichts stockt. Nichts verzögert. Es läuft einfach rund. Harmonie zwischen Hard- und Software. Ganz ehrlich: Mir ist es ein Rätsel, wie sich so viel Minimalismus auf einem 6,1-Zoll-Display so gut anfühlen kann.

Ich nenne das mal die Apple Experience.

Ein Begriff, der dem Marketing-Manager, der ich in einem anderen Leben mal gewesen bin, gefallen würde. Ich benutze ihn etwas widerwillig. Nicht aus Freude an Marketing-Bla. Ich hasse Marketing-Bla. Aber mir fällt nichts besseres ein, um dir das oben beschriebene Gefühl auf den Punkt zu bringen. Das Gefühl, etwas ganz besonderes in Händen zu halten.

Das gab’s schon vorher. Gerade, wenn du eine im Hintergrund laufende Apps mehrere Stunden oder gar Tage nicht benutzt hast. Der begrenzte Arbeitsspeicher schliesst dann die im Hintergrund laufende App, um Ressourcen für die aktuell laufenden Apps freizuschaufeln. Nur soll es seit dem Update nicht mehr Stunden oder Tage dauern, bis es soweit ist, sondern Minuten. Besonders, wenn die ressourcenfressende Kamera-App geöffnet wird.

Ja, was Apple da unter der Haube liefert, kann sich sehen lassen. Plötzlich finde ich es doch nicht mehr so eigenartig, dass ich das Phone 11 so sehr mag.

Rundum zufriedenstellendes Kamerasystem

Kameratechnisch macht das iPhone 11 nicht viel falsch. Das beste Kamerasystem der Welt findest du zwar nicht, aber den Abstand zur Konkurrenz Huaweis und Samsungs ist deutlich geringer geworden.

Alle untenstehenden Fotos findest du hier in Original-Auflösung.

Hauptkamera mit Weitwinkel-Objektiv

  • Hauptkamera 1: 12 Megapixel Weitwinkel (f/1.8)
  • Bildstabilisator vorhanden

Die Anzahl Megapixel ist nicht so hoch wie bei den anderen Flagship-Phones anno 2019. Hast du aber nicht vor, kleine Bildausschnitte zu vergrössern und auf einen UHD-Fernseher anzugucken, bist du gar nicht zwingend darauf angewiesen: 12 Megapixel entsprechen bei Apples Bildformat einer Auflösung von 4032×3024 Pixeln. Reicht mir vollkommen aus. In zwei bis drei Jahren, wenn die meisten Fernseher 8K-aufgelöst sind, sollte Apple aber nachrüsten.

Im Automatik-Modus zeigt die Kamera eine ausgewogene Farbwiedergabe, die das knallige Morgenrot am obigen Oktobermorgen realitätsgetreu eingefangen hat. Solche Szenarien kommen dem iPhone 11 entgegen: Meistens knipst es Bilder mit einem warmen, gelblichen Farbton.

Eine angenehme Abwechslung. Die meisten Phones, die ich teste, machen eher kalte Bilder mit Blaustich. Gelbstich finde ich besser; vor dem Instagram-Post oder Fotopapier-Ausdruck würde ich trotzdem mit einer Bildbearbeitungssoftware den Gelbstich etwas korrigieren.

Hauptkamera mit Ultra-Weitwinkel-Objektiv

  • Hauptkamera 2: 12 Megapixel Ultra-Weitwinkel (f/2.4)
  • Kein Bildstabilisator vorhanden

Mächtig viel Spass macht das Fotografieren mit dem Ultra-Weitwinkel-Objektiv. Beim iPhone 11 heisst das: 120° Sichtfeld. Am sinnvollsten eingesetzt ist es dann, wenn du einem Foto mehr Tiefe geben willst – nicht etwa Breite. Ultra-Weitwinkel-Fotos haben nämlich oft etwas verzogene Ecken. Das ist normal, heisst aber für dich, das der Fokus eben auf die Tiefe im Bild liegen sollte.

Schau, Weitwinkel-Objektiv:

Und hier Ultra-Weitwinkel-Objektiv:

Das zweite Bild ist besser, weil die Ultra-Weitwinkel-Verzerrung der Perspektive mehr Tiefe gibt, sie spannender und weniger flach macht. Tückisch ist sie dann, wenn sich etwas nahe an der Kamera befindet. Das Geländer unten rechts etwa. Im Idealfall positionierst du dich also vor dem Geländer.

Was ich allerdings tatsächlich nicht verstehe, ist, woher die Unschärfe mit den verschwommenen Farben kommt, die bei vielen meiner Ultra-Weitwinkel-Fotos oben links zu sehen ist. Achtest du darauf, fällt’s sofort auf. Ich finde es aber nicht dramatisch genug, um mir den Spass am Ultra-Weitwinkel-Objektiv nehmen zu lassen.

Trotzdem: Wenn du eine Idee hast, woher das kommt, darfst du das sehr gerne in die Kommentarspalte schreiben.

Intelligenter HDR-Modus

Ebenfalls gut sehen Bilder aus, bei denen der intelligente HDR-Modus für eine ausgeglichene Belichtung sorgt. Intelligent, weil du ihn nicht manuell aktivieren oder deaktivieren musst. Das ist dann nützlich, wenn du einen dunklen Vordergrund mit einem hellen Hintergrund fotografieren willst.

Warum mir Apple aber nicht selber die Wahl lässt, wann ich HDR aktivieren oder deaktivieren will, verstehe ich nicht.

Beeindruckender Nachtmodus

Absolut genial finde ich den Nachtmodus des iPhones. Gerade, wenn ich ihn mit demjenigen meines privaten OnePlus 6T vergleiche. Gut, es gibt fairere Vergleiche. Aber das 6T-Modell ist noch kein Jahr alt. Dazu hat OnePlus damals recht grossmundig mit dem Slogan «capture the night» geworben. Darum erwarte ich keine deutlichen Unterschiede.

Ich liege falsch.

Das iPhone gewinnt den Vergleich haushoch. Und bevor jemand sagt: «Bist du dir sicher, dass Nacht so aussieht, wie im Nachtmodus da oben?» Nein, tut sie nicht. «Nacht» ist in der Realität einfach schwarz. Wenn ich den Nachtmodus benutze, dann, weil ich etwas fotografieren will, das nicht einfach schwarz wie die Nacht ist.

Jedenfalls sagt mir der Vergleich, dass das, was Apple mit dem iPhone 11 da liefert, sich absolut sehen lassen kann.

Frontkamera mit anständigen Selfies

Diesen Teil mag ich nicht. Ich bin kein Selfie-Fan. Mir reicht es vollkommen aus, meine Visage morgens und abends im Spiegel zu sehen. Ich brauche keine zusätzlichen Fotos von ihr. Für das Review mache ich eine Ausnahme.

  • Frontkamera: 12 Megapixel Ultra-Weitwinkel (f/2.2)

Die Lichtstärke von f/2.2 ist hoch. Fotos bei wenig Licht verwackelt es regelmässig. Bei guten Lichtverhältnissen hingegen bin ich überrascht, wie wenig Mühe die Software, welche die künstliche Tiefenunschärfe berechnet, mit den Konturen meines Ichs haben:

Nur dort, wo ein paar vereinzelte Haare wie besoffen in der Gegend rumstehen sowie bei den Schultern, hat Apples Software nicht ganz kapiert, wo ich anfange und wo der Hintergrund aufhört.

Insgesamt kann ich aber mit der Selfie-Qualität im Portraitmodus gut leben.

Deep Fusion für bessere Qualität bei wenig Licht

Seit dem kürzlich erfolgten iOS 13.2 Update auf allen Apple-Geräten sollen Fotos bei wenig Licht deutlich mehr Details haben und besser ausgeleuchtet sein – Apples eigene Worte. Ach ja: Der Deep-Fusion-Modus aktiviert sich von alleine, wenn nötig.

Glücklicherweise habe ich das Update vor dem Schreiben dieser Review noch nicht gemacht; so habe ich Fotos vor- und nach dem Update machen und vergleichen können. Unterschiede in Punkto Detail oder Farbdarstellung konnte ich aber keine erkennen. Halb habe ich erwartet, im Hintergrund, wo’s dunkel ist und wenn ich stark ins Bild reinzoome, deutlich weniger Rauschen zu sehen. Aber das sieht zwei Mal genau gleich aus.

Entweder habe ich etwas falsch gemacht, oder Apple hat den Mund viel zu voll genommen.

Wenn das keine Low-Light-Situation ist, dann weiss ich auch nicht, was eine wäre. Mache ich etwas falsch?

5-facher digitaler Zoom überzeugt mich nicht

Zum Schluss noch ein genauer Blick auf den digitalen Zoom. Zuerst ein Foto des Schiffbaus in Zürich im Automatik-Modus:

Links ein vergrösserter Bildausschnitt, rechts der fünffache digitale Zoom des iPhones:

Mir fällt da schon auf, dass das Bild im digitalen Zoom seltsam knallig wirkt. Überhaupt wirken die Details und Farben verwaschen wie bei einem Ölgemälde. Liebe Software, was auch immer du da rechnest – rechne nochmal.

Richtig offensichtlich werden die Qualitätsunterschiede, wenn ich im digital gezoomten Bild einen Bildausschnitt vergrössere und dann mit dem Original vergleiche, wo ich den gleichen Ausschnitt ein zweites Mal vergrössere.

Sowohl beim Abfalleimer als auch bei der Karosserie des silbernen Autos dahinter siehst du rechts klare Abstufungen bei den Kanten. Wenn du mich fragst: Willst du ranzoomen, dann arbeite lieber nicht mit dem digitalen Zoom. Mach stattdessen ein normales Foto und vergrössere später den gewünschten Bildausschnitt.

Nochmals: Alle obenstehenden Fotos findest du hier in Original-Auflösung.

Fazit: Top Phone. Allerdings nicht günstig

Das iPhone 11 ist ein sehr gutes Smartphone. Das sage ich als jemand, der in der Regel bei Android-Phones zuhause ist. Darum habe ich es dem iPhone 11 nicht leicht gemacht. Die meisten Smartphones, die ich teste, hinterlassen nämlich so ein «das Phone ist ganz okay»-Gefühl: Sie machen alles gut, nichts falsch – aber auch nichts wirklich einzigartig.

Trotzdem: Lass dich nicht von jenen blenden, die vom «günstigen» iPhone sprechen. Du kriegst zwar das iPhone 11 für einen ähnlichen Preis wie andere Flagship-Phones aus Asien, aber mit deutlich weniger Umfang: Kein AMOLED-Display, geringere Auflösung, viel weniger Systemspeicher, der nicht mal erweiterbar ist, und Netzteil sowie Dongle zum Fastchargen oder Musikhören musst du erst noch dazukaufen.

Günstig ist anders.

16 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


Smartphone
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Produkttest

Unsere Expertinnen und Experten testen Produkte und deren Anwendungen. Unabhängig und neutral.

Alle anzeigen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Produkttest

    iPhone 15 Pro im Test: sinnlos schön

    von Samuel Buchmann

  • Produkttest

    iPhone 17 Pro im Test: fadengerades Upgrade

    von Samuel Buchmann

  • Produkttest

    iPhone 15: Alter Wein in neuen Schläuchen oder ernsthafte Pro-Alternative?

    von Florian Bodoky