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Wiko am MWC: Ein bisschen Essential, ein bisschen grossartig
von Dominik Bärlocher
In Sao Paulo hat Motorola die Moto-G6-Serie vorgestellt. Gleich drei Phones sollen den Markt aufmischen. Ein erster Blick zeigt: Könnte gelingen, denn Moto macht viel mit Software und Hardware mit gesundem Preisschild.
«Venha ver seu mundo de uma forma diferente – helloyou», lautet der Text auf der Einladung Motorolas, der auf den Launch Event in Sao Paulo hinweist. «Komm und sieh die Welt anders», sinngemäss übersetzt. Der Launch kommt überraschend und aus dem Nichts. Die ersten offiziellen Bilder des Geräts, das praktisch in seiner Vollständigkeit geleakt worden ist – teilweise von Motorola selbst – sind vor wenigen Stunden auf meinem Pult in der digitec-Redaktion gelandet.
Am Live-Event aber gerate ich in Schwierigkeiten. Mein Portugiesisch ist irgendwas zwischen nicht existent und sehr rostig. Ich verstehe so das wesentliche. Wenn du mitgeschaut hast und ich irgendwas in den Übersetzungen komplett falsch habe, lass es mich in den Kommentaren wissen. Die Moderatorin im gelben Ensemble begrüsst das Publikum zum «wichtigsten Phone Launch des Jahres».
Der Lauch Event zeigt vor allem eines: Der harte Kampf in der Mobilfunkbranche wird nicht in den hohen Preisklassen gekämpft. Spätestens seitdem Smartphones die 1000-Franken-Grenze überschritten haben, haben sich die Flaggschiffe von der Massentauglichkeit verabschiedet. iPhones und Samsung Galaxies sind keine Alltagsgeräte mehr. Sie sind Luxusgüter. Die Massentauglichkeit ist im noch unbenannten unteren Mittelfeld zu suchen. Dort suchen Nutzer Akkulaufzeit und Funktionalität und wollen auch noch ihr Portemonnaie schonen.
Das ist das Feld, das sich Motorola – aktuell in Besitz von Lenovo – ausgesucht hat. Mit dem Moto G6 tritt der Hersteller in den Ring. «Maravilha», sagt die Frau in Gelb. Wunderbar. Sie wiederholt das Wort oft.
Das Motto der drei Phones, die Motorola vorstellt heisst «helloyou». Der rechtschreibtechnisch etwas fragwürdige Slogan soll dafür stehen, dass das Phone sich nach dem User richten soll. Ich vermute, der Live Stream ist nur teilweise live. Ansonsten beherrscht die Frau in gelb die Bilokation, kann also an zwei Orten gleichzeitig sein. Ich vermute, sie befindet sich aktuell in einer Halle, wo die Presse sitzt.
Nach einigen Einspielern mit dem ewiggleichen Audio-Jingle geht es aber ans Eingemachte. Die Phones werden vorgestellt.
Sergio Buniac, Präsident Motorolas, betritt die Bühne. Er wechselt zwischen Portugiesisch und Englisch. Glück gehabt.
Er erzählt von seinem Unternehmen und wie es ihm geht. In den Vereinigten Staaten sind Moto-Phones an dreimal mehr Verkaufspunkten erhältlich als noch vor einem Jahr. Wirtschaftlich kann sich das Unternehmen auch nicht beschweren.
Stampfende Bässe klingen aus den Boxen, ein Countdown auf der Leinwand zählt von 3 herunter. Tänzer in bunten Kostümen bewegen sich im Rhythmus, aber noch nicht tanzend auf die Bühne zu. Dort führen sie einen Tanz auf, der Mensch und Leinwand verschmelzen lässt. Mit einem Mittelklasse-Launch hat das nichts zu tun. Motorola feiert sich.
Das Motorola G6 – also nur G6 – hat ein 5.7-Zoll-Display verbaut mit einer Bildschirmauflösung von 1080 x 2160 Pixeln. «Full HD Max Vision» nennt Motorola das. Die Auflösung weist auf ein Bildschirmverhältnis von 2:1 hin, die offiziellen Tech Specs sagen aber 18:9. Auf der anderen Seite: Glas. «3D Glas», wie das Motorola nennt und ein prominenter Kamerabuckel mit einer Dual Cam darin. Beim Design setzt der Hersteller auf Rundungen. Kaum eine Ecke oder scharfe Kante ist zu sehen.
Schnell wird klar, die Tänzer stellen unter anderem die Akkulaufzeit dar. 3000mAh packt das G6 hinter den Bildschirm. Dazu ein Dual Cam Setup mit einer 12-Megapixel- und einer 5-Megapixel-Kamera mit einer ƒ/1.8-Blende. Damit kratzt das Moto G6 an den Werten der Flaggschiffen, zumindest seitens der Tech Specs. Die Kamera hat eine gewisse Intelligenz verbaut, kann Text einscannen, liefert den Bokeh-Effekt, hat einen Panorama-Modus und einen manuellen Modus. Dazu bietet die Kamerasoftware die Möglichkeit, den Hintergrund eines Bilds auszutauschen. Offenbar rechnet das Phone mit, findet heraus, was Vorder- und was Hintergrund ist und schneidet dann pixelgenau aus.
Angetrieben wird das G6 von einem Qualcomm Snapdragon 450 System-on-a-Chip. Das SoC ist zwar kein Spitzenmodell, aber die 1.8 GHz im Octa-Care-Setup bringen laut Hersteller genug Leistung.
Der grosse Bruder des G6 heisst Moto G6 Plus. Das Display hat eine Bilddiagonale von fast sechs Zoll und einen grösseren Akku. Statt 3000 mAh packt Lenovo 3200 mAh hinter den Bildschirm. Die Software sei mit der des G6 identisch. Android 8.0, Moto Voice und intelligente Kamera.
Die Kamera hat aber auch mehr hinter den Ohren, selbst wenn die Megapixel-Angaben identisch sind: Die Blende geht hoch bis ƒ/1.7, erkennt intelligent Wahrzeichen und Objekte. Sogar Shopping soll via Kamera möglich sein. Videoseitig nimmt das G6 Plus Filme in «4K-Ultra-HD»-Auflösung auf. Dazu Slow Motion und Zeitraffer.
Das Moto G6 Play ist dem Namen nach ein Revival des Play-Labels des Herstellers. Fans sind wohl erfreut, Experten etwas verwirrt. Das Phone ist weder Fisch noch Vogel, verspricht aber auch recht viel.
Der Akku ist noch etwas grösser, leistet 4000 mAh und soll so den ganzen Tag halten. Der Bildschirm ist wie beim G6 5.7 Zoll, die Auflösung liegt aber tiefer. Auf ein Seitenverhältnis von 18:9 kommt eine Auflösung von 720 x 1440 Pixeln.
Die Kamera ist ebenfalls abgespeckt, leistet nur 13 Megapixel und hat einen F-Stop von ƒ/2.0. Videos nimmt das G6 Play mit bis zu 1080p auf bei 30fps. Es wird klar, dass das Phone aufs Durchhalten ausgelegt ist. Der Akku ist der Fokus des Geräts, alle anderen Features müssen hinten anstehen.
Wie andere Hersteller auch hat Motorola einen Standard entwickelt, der die Ladezeit der G6-Serie dramatisch verkürzt. 50 Prozent des Akkus aufgeladen während einer längeren Kaffeepause seien drin, heisst es in Sao Paulo. Mit genauen Ladezeiten hält sich aber auch die Herstellerseite während dem Live Stream zurück.
Die Intelligenz des Phones hört dabei aber nicht auf. Wenn du die G6-Serie anblickst, dann blickt es zurück. So lange die Frontkamera deine Augen sieht, wie sie auf das Display gerichtet sind, geht das Display nicht aus. Dazu gehört natürlich Face Unlock und ein eigener Sprachassistent. «The Voice System is always on», sagt der Mann auf der Bühne. Es sei ein konversationelles System, wisse über Kontext bescheid und sei in der Lage, auch komplexe Befehle zu verstehen. Er führt als Beispiel mit einer Hotelsuche an. Du kannst nach «Viersterne-Hotels in Beijing» suchen und dann die Website des «dritten Eintrags in der Liste» öffnen.
Dazu kommt ein Beta-Programm. Du als Moto-User kannst aktiv an der Entwicklung des Motos mitarbeiten. Du bekommst neue Features vor den Alltagsnutzern und wirst aktiv nach deinem Feedback gefragt. Damit unterscheidet sich Motorola deutlich vom normalen Beta-Programm für Apps aus dem Play Store, wo du nur erweiterte Telemetriedaten übermittelst, dafür aber Features erhältst, die kurz vor der Veröffentlichung stehen.
Nach dem Stream werde ich gefragt, wie ich die Situation so sehe. Schafft Moto es, den Markt aufzumischen? Die Antwort: Schwierig zu sagen. Auf Seiten der Preis/Leistung ist das sicher möglich, denn Lenovo-Motorola leistet viel für wenig. An den König des Segments, Wiko, kommen sie bislang aber nicht wirklich heran. Aber: Es kann gut sein, dass die G6-Serie die Franzosen vom Thron stösst, denn softwareseitig hat Moto Development in seine Phones gesteckt, mit dem Wiko nicht mithalten kann. Noch nicht.
Es wird die Software sein, die den Kampf entscheidet. Wenn die Moto-Features halten, was sie versprechen, dann ist es sicher möglich, dass Wiko sich auf den zweiten Rang verziehen muss.
Die Produkte habe ich wieder aus dem Artikel entfernt. Offensichtlich startet der Vorverkauf der Phones erst einen Tag nach der offiziellen Vorstellung der G6-Serie. Sorry. Die Phones werden morgen wieder da sein.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.