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Heute ist Sirenentest oder zurück zu alten Medien

Der Sirenentest steht an. Sollte es einmal ernst werden, nehmen die Radiostationen eine kommunikative Schlüsselrolle ein. Mehr Informationen dazu gibt’s auf dem Teletext. Über die Schweizer Liebe zu überholten Formen der Informationsübermittlung.

Heute um 13.30 Uhr werden in der ganzen Schweiz die Sirenen getestet. Erst die für den «Allgemeinen Alarm», dann die für den «Wasseralarm». Wir als Bürger müssen nichts tun, ausser eventuell den angedachten Call zu verschieben. Im Ernstfall heisst es aber Radio hören. Die Stationen sind verpflichtet, die Informationen und Anweisungen des Bundes weiterzuleiten. Weitere Informationen dazu findest auf Teletext, Seite 680. Im Ernstfall sind die alten Medien Trumpf.

Auf der Seite des Bundesamts für Bevölkerungsschutz wird explizit darauf hingewiesen. Der gute alte Teletext wird hoch gehalten. Auch in der Bevölkerung. Darüber hat sich auch schon Kollege Luca Fontana gewundert und ist «der Höhlenmalerei des digitalen Zeitalters» auf den Grund gegangen. Die Nutzerzahlen sind bis heute hoch. Laut SRG Medienstelle riefen im Jahr 2019 auf SRF und RTS noch immer durchschnittlich 422 000 Personen (Zielgruppe 15+) täglich den Teletext auf. Die höchsten Zugriffszahlen aller Zeiten wurden zwischen 2010 und 2014 verzeichnet. Also als das Internet schon komplett etabliert war und niemand mehr Teletext lesen musste, um schnell an Informationen zu gelangen.

  • Hintergrund

    Wer liest eigentlich noch den Teletext?

    von Luca Fontana

Im Ernstfall wird Radio gehört

Sollten die Sirenen einmal nicht am ersten Mittwoch im Februar erklingen, gilt ernst und das Radio muss eingeschaltet werden. Dann werden die Hörerzahlen wohl auf einmal wieder durch die Decke gehen. Seit 2001 nimmt die Radionutzung jährlich ab. Vor allem unter 30 wird kaum mehr Radio gehört. Lediglich 44 Minuten pro Tag in der Deutschschweiz und im Tessin beziehungsweise 31 Minuten in der Westschweiz verzeichnet das Bundesamt für Statistik für die Hörergruppe zwischen 15 und 29 Jahren. Zum Vergleich: Die über 60-Jährigen führen in allen Sprachregionen mit über 100 Minuten. Wohlgesonnte Stimmen sehen in der Wahl des Radios ein internetunabhängiges Informationsmedium, das genau aus diesem Grund gewählt wurde. Böse Zungen dagegen mögen behaupten, das Radio sei ein veraltetes überaltertes Medium, wodurch die Informationen nicht an alle gelangten, der Bund sich aber vor Veränderung scheue.

Falsch. Für alle nicht-Radiohörer gibt es seit 2018 die «Alertswiss-App», die man sich bequem aufs Smartphone laden kann. Ein Fortschritt, auch wenn sie laut etlichen Rezensionen im Play Store einige Mankos aufweist und Informationen, vor allem zum Coronavirus, teils erst Tage nach offizieller Kommunikation für ihre Nutzer sichtbar macht. IT-Lösungen scheinen nicht das Steckenpferd des Bundes zu sein, wie auch schon die Schwierigkeiten bei der «SwissCovid»-App und dem E-Learning-Tool der Armee zeigten.

Dafür ist der Informationsaustausch zwischen nationaler Alarmzentrale und den Radiostationen auf dem neuesten Stand. Vor Jahren schon wurde von Fax auf E-Mail und SMS umgestellt, wie Birgit Orgler, Redaktionsleiterin «CH-Media Radio und News», auf Anfrage sagt. Dafür muss die Redaktions-Mailadresse, aber auch diejenige des Redaktionsleiters / der Redaktionsleiterin und seiner / ihrer Stellvertretung angegeben werden. «Jährlich wird ohne Vorwarnung kontrolliert, wie schnell wir auf diese E-Mail und SMS reagieren. Kommt zu lange keine Antwort, wird nachgefragt, was schief gelaufen ist», sagt Orgler.

Coronazahlen per Fax

Im Gesundheitswesen wären E-Mails schon ein riesiger Fortschritt, wenn man sich zurück in die erste Welle der Coronakrise besinnt. Da kam heraus, dass Bund und Kantone am liebsten per Fax kommunizieren und Coronameldungen per Hand in Excel-Listen übertragen. Gerade erst publizierte die NZZ einen Artikel mit dem Namen «Die Schweiz hat die Digitalisierung des Gesundheitswesens verschlafen – wie sehr, zeigt ein Vergleich mit Dänemark». Dort wird auf fehlende elektronische Patientendossiers oder Impfpässe eingegangen, die gerade in der Pandemie vieles erleichtert hätten.

Ist die Ärzteschaft schuld? Der Föderalismus? Oder doch die Bevölkerung und ihre so hohe Gewichtung des Datenschutzes? Wahrscheinlich alles zusammen ein bisschen. Vielleicht besteht die Schweiz aber auch einfach aus acht Millionen Nostalgikern, die einfach nicht loslassen können. Die, wie der Vermieter von Kollegin Livia Gamper, darauf bestehen, jegliche Kommunikation per Fax zu unterhalten. Vielleicht aber ist es gar nicht Nostalgie, sondern Pragmatismus, um möglichst wenig Anfragen zu erhalten.

So wild diskutiert werden wie die vermeintlich verschlafene Digitalisierung im Gesundheitswesen muss der Prozess des Sirenentests nicht. Mehr mit einem verständnisvollen Augenzwinkern als mit Sorge lässt sich dieser betrachten. Denn auch Menschen ohne Affinität zum Teletext kommen natürlich an ihre Informationen. Und im Ernstfall kann man das Radio auch über das Internet laufen lassen oder wird von den Grosseltern (oder Ueli Maurer) per Live-Ticker übers Haustelefon auf dem Laufenden gehalten.

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Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.

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