

Fitbits Dystopie: Der Tracker, den du nicht kaufen kannst

Das Fitbit Inspire kann nur von Arbeitgebern für ihre Angestellten gekauft werden. Damit soll die Gesundheit der Arbeiterwelt verbessert werden. Das klingt nach einem Überwachungsalptraum. Der Blick in ähnliche Projekte und das Gesetz zeigt: Halb so wild, aber trotzdem bedenklich.
Der neue Tracker aus dem Hause Fitbit heisst Fitbit Inspire und markiert einen neuen Schritt in Richtung totale Transparenz gegenüber Dritten und ein weiteres Schrittchen in Richtung der kompletten Aufgabe der Privatsphäre. Denn das Inspire kannst du nicht im Laden kaufen, sondern nur über Fitbits Gesundheit-für-Arbeitgeber-Plattform Fitbit Health Solutions.
Sprich: Eines Tages kommt dein Chef zu dir, mit einer tollen neuen Gesundheitsidee. Er sagt, dass die Lösung einfach, unkompliziert, innovativ und einzigartig sei. Er präsentiert dir dein neues Fitbit. «Zieh das hochwertige Gerät am Handgelenk an… Ja, sieht schick aus», sagt er.

Quelle: fitbit.com
Doch was hast du dir da gerade angezogen? Ein Tracker, der deine Fitness- und Gesundheitsdaten aufzeichnet. Eine Wahl hast du nicht. Wenn der Chef spricht, dann spricht der Chef.
Das Fitbit Inspire unter der Lupe
Das Fitbit Inspire kommt in zwei Ausführungen:
- Fitbit Inspire
- Fitbit Inspire HR
Die Features der Geräte sind wenig aufsehenerregend und du kennst die auch schon. Das Basismodell Inspire kann folgendes:
- Bewegungs-Tracking
- Schlaf-Tracking
- Kalorienverbrauch
- Erinnerungen, wenn du zu lange sitzt: Beweg dich!
- Freudige Notifications wenn du deine Ziele erreicht hast
- Notifications für Kalender, Nachrichten und Anrufe, wenn das Smartphone in der Nähe ist
- Touchscreen
- Wasserdicht bis 50 Meter
- Der Akku soll fünf Tage halten
- Ein Clip-On-System ist separat erhältlich
Das etwas bessere Modell, das Inspire HR, kann all das, was das Basismodell kann und dazu:
- 24/7 Pulsmessung
- Schlafqualitätsanalyse
- Über 15 Zielorientierte Fitness-Übungsanleitungen
- Echtzeit Schritt- und GPS-Tracking
- Cardio Fitness Level. Was genau das heisst wird auf der Website nicht klar umschrieben
- Bequemes Silikonband
Im Wesentlichen also ein Fitbit Ace mit kleinen Anpassungen am Display und weit weniger persönlicher Freiheit.
Warum das schlimm ist
Die Intentionen Fitbits klingen nett. Das ganze Health-Solutions-Programm steht.
Business leaders recognize the burden of rising healthcare costs to their companies and their employees.
Die Seite, die sich etwas US-zentrisch anfühlt, berichtet über von Mitarbeitern verursachten Gesundheitskosten für Firmen und den dadurch verursachten Problemen. Übergewicht. Diabetes. Nicht wirklich mit viel medizinischem Hintergrund, sondern mehr so «Machen wir weg. Chefs müssen sich dann nicht mehr drum sorgen».

Genau da wird die ganze Veranstaltung problematisch. Dein Chef hat Macht über dich, egal wie hands-off seine Führungsprinzipien sind. Und wenn du entweder einen Job willst oder kein Fitbit… irgendwie muss Essen auf deinen Tisch kommen, oder? Ein Arbeitgeber kann dich, ungeachtet deiner Wünsche an eine möglichst intakte Privatsphäre, zur Aufgabe deiner Daten zwingen. Oder etwa doch nicht?
Für alle möglichen Fragen hat Fitbits Health-Solutions-Programm in ihrem Resource Center eine Antwort, dazu Statistiken und lustige Quizzes, mit denen Mitarbeiter herausfinden können, welcher Fitness-Typ sie sind. Nur fehlen sämtliche Angaben zur Datensicherheit.
Was passiert also mit den Daten? Sie werden in der Cloud analysiert. Es ist davon auszugehen, dass die Daten mit den anderen Fitbit-Daten – laut eigenen Angaben hat Fitbit fünf Milliarden Nächte Schlaf aufgezeichnet – korelliert. Dazu: Hat der Arbeitgeber Einsicht in die Daten, die ausserhalb der Arbeitszeit aufgezeichnet werden? «Ich habe gesehen, dass du etwas wenig schläfst. Und deine Schlafqualität ist schlecht. Warum», fragt der Chef so nachmittags um vier Uhr. Die Antwort wäre irgendwas wie «Weil ich bis morgens um vier tanzen und saufen war. Ich wäre erstaunt, wenn ich jetzt schon wieder Auto fahren dürfte», was aber etwas ist, das du deinem Chef so nicht sagst. Aber: Darf er überhaupt danach fragen?
Causa Helsana: In der Schweiz
Antworten auf einige dieser Fragen könnte der Fall «Helsana+» liefern. Im Jahre 2017 hat der Versicherungskonzern Helsana das Helsana+-Programm lanciert. Die Kurzversion der Idee: Versicherungskunden schnallen sich ein Fitbit oder einen anderen Tracker um. «Wer fit ist, zahlt weniger», schreibt srf.ch über das Punktesammelprogramm der Versicherung. Damit steht Helsana nicht alleine da, aber der Fall war dahingehend bemerkenswert, dass sich die Rabatte nicht nur an die richtet, die Zusatzversicherungen abgeschlossen haben, sondern auch an Grundversicherte. Das bedeutet, dass die obligatorische und immer teurer werdende Krankenkasse in der Schweiz durch einige Spaziergänge günstiger werden kann. Oder dass du andere Boni abstauben kannst.

Auf Anfrage bei Helsana sagt Mediensprecherin Dragana Glavic, dass auch die Versicherung keine Einsicht in detaillierte Daten hat. Die App Helsana+, die mit und ohne Tracker verwendet werden kann, analysiert Folgendes:
- Geht die Person 10 000 Schritte?
- Verbrennt die Person in 30 Minuten 150 Kalorien?
- Hat die Person einen Puls von 110 Schlägen pro Minute während mindestens 30 Minuten?
Helsana selbst erfährt nur, dass eine Person eines dieser Kriterien über einen gewissen Zeitraum hinweg erfüllt hat. Welches das ist, das wissen die Versicherer aber nicht. Fitbit hingegen weiss das sehr genau, denn die Daten eines Trackers können nur mit dem Einverständnis zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Herstellers aktiviert werden. Also ganz normal, wie wenn du dir einen Tracker im Laden kaufst.
In Unternehmen: Nur Belohnungen, keine Strafen
Dass Programme wie Fitbit Health Solutions für Unternehmen interessant sein können, steht ausser Frage. Denn gesunde Mitarbeiter leisten mehr, sind weniger krank und allgemein glücklicher. Die mit einer unternehmensintern institutionalisierten Datensammlung verbundenen Risiken deckt das Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) ab.
In DSG Art. 3 werden persönliche Daten generell als «alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen» definiert. «Besonders schützenswerte Daten», also speziell heikel, sind laut demselben Artikel folgende:
- die religiösen, weltanschaulichen, politischen oder gewerkschaftlichen Ansichten oder Tätigkeiten,
- die Gesundheit, die Intimsphäre oder die Rassenzugehörigkeit,
- Massnahmen der sozialen Hilfe,
- administrative oder strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen;
Weiter regelt DSG Art. 4, wie die Daten von dir als Datenlieferant gesammelt werden dürfen. Du musst bei besonders schützenswerten Daten explizit dein Einverständnis geben. Und in DSG Art. 8 wird festgelegt, dass du jederzeit beim Sammelnden – also deinem Chef oder dem HR – nachfragen darfst und Auskunft verlangen kannst, was mit deinen Daten geschieht.

Nicht geregelt ist aber, welche Daten dein Arbeitgeber einsehen darf. Allerdings ist die Frage in den meisten bekannten Programmen irrelevant, da Unternehmen nicht die ganzen Daten sehen, sondern nur Reports. Wie bei Helsana.
Dass ein Mitarbeiter des Personalbüros oder dein Chef dich anspricht und etwas sagt wie «Vergangene Nacht hast du nur vier Stunden geschlafen? Nicht gut...» ist aber definitiv illegal. Eine kurze Nachfrage beim HR Digitec Galaxus ergibt: Ein HR darf dich nur für deine Gesundheitsmühen belohnen, nicht aber bestrafen. Auf Daten, die ausserhalb deiner Arbeitszeit aufgezeichnet werden, hat ein Unternehmen in allen bekannten Programmen keinen Zugriff.
Nur: Fitbit bekommt deine Daten. Alle Daten. Diese Daten werden dann weiterverarbeitet, nicht nur in deinem Account, sondern auch von Dritten.
Wir übermitteln Daten an unsere Konzerngesellschaften, Dienstleistungsunternehmen und andere Partner, welche die Daten für uns verarbeiten, auf Grundlage unserer Anweisungen und in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie sowie allen anderen zur Anwendung geeigneten Vertraulichkeits- und Sicherheitsvorkehrungen. Diese Partner übernehmen weltweit Dienstleistungen für uns, einschließlich Kundensupport, Informationstechnologien, Zahlungen, Vertrieb, Marketing, Datenanalysen, Forschung und Umfragen.
Damit gibst du dich bei Inbetriebnahme eines Produkts aus dem Hause Fitbit einverstanden. Für Fitbit lohnt sich das, denn der Konzern kassiert gleich mehrfach:
- Arbeitgeber zahlt Fitbit Geld für Tracker und Service
- Werbe- und Forschungskunden zahlen Fitbit Geld für Daten
- User können sich weitere Fitbit-Produkte, wie die Fitbit-Aria-Waage, kaufen und so alle Funktionen des Ökosystems nutzen
So. Fertig. Selbst wenn dein Arbeitgeber keine Einsicht in deine Daten hat, jeder andere hat sie. Damit musst du leben. Oder halt keinen Tracker tragen.


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.