Hintergrund

Ein packender Vampire-Thriller, aber kein würdiger «Bloodlines»-Nachfolger

Philipp Rüegg
29.10.2025

Über 20 Jahre habe ich auf den Nachfolger von «Vampire: The Masquerade – Bloodlines» gewartet. Dieser bietet praktisch nichts von dem, was das legendäre Rollenspiel damals ausgezeichnet hat. Gepackt hat mich «Bloodlines 2» trotzdem.

Dabei stolpern sie über eine Mordserie, die über hundert Jahre zurückreicht. Fabian ermittelte schon damals, die Spur verlor sich allerdings. Nebenbei hat sich mit Ryong Choi ein neuer Prinz oder besser gesagt eine Prinzessin an die Spitze der streitsüchtigen Vampir-Klans gesetzt. Ihre Macht ist alles andere als gesichert und mehrere Parteien streiten um Einfluss über Seattle.

Auch der Rest des nächtlichen Seattles ist dramatisch in Szene gesetzt. An jeder Ecke reflektiert das Licht neonfarbener Leuchttafeln im Schnee. Selbst in dunklen Seitengassen kannst du dich darauf verlassen, dass das Rücklicht eines stehendes Fahrzeugs die Szene beleuchtet.

Auch das Kampfsystem fühlt sich grösstenteils toll an. Phyre setzt fast ausschliesslich auf Nahkampf. Schwächere Gegner kann ich mit einem starken Schlag durch die Luft schleudern. Ausweichen geht blitzschnell. Jede der sechs Fraktionen hat zusätzlich vier freischaltbare aktive Fähigkeiten. Publisher Paradox wollte ursprünglich die Lasombra und Toreador hinter einen 22-Dollar-DLC verstecken. Nach grossem Aufschrei ruderte man schliesslich zurück.

Ich habe mich für die Ventrue entschieden. Damit kann ich Gegner zum Selbstmord zwingen oder sie fernsteuern. Letzteres ist besonders bei grossen Gegnern praktisch, damit sie für mich die Drecksarbeit erledigen. Über Umwege kann ich Fähigkeiten anderer Fraktionen erlernen. Das kostet allerdings deutlich mehr Skillpunkte. Mit den Fähigkeiten machen Kämpfe, die überraschend dosiert stattfinden, ziemlich Laune.

Sonstige Rollenspiel-Elemente bietet «Bloodlines 2» nicht. Bereits bei meinem Anspieltermin an der Gamescom betonten die Entwickler von The Chinese Room, respektive Publisher Paradox, dass es sich auch um ein Action-Rollenspiel handelt. Ich würde sogar so weit gehen und es als Action-Adventure bezeichnen – eine Genre-Bezeichnung, die heute kaum noch gebraucht wird. Auf «Bloodlines 2» trifft es aber gut zu, denn die Action steht nicht im Zentrum.

Spazier-Vampir

Einen Grossteil des Spiels bin ich als Fabian unterwegs. In regelmässigen Flashbacks nehme ich als der gesprächige Malkavian-Vampir Mordermittlungen auf. Und das gleich zweimal. Einmal zu Beginn des 20. Jahrhunderts und einmal kurz vor Phyres Ankunft.

Fabians Ermittlungen bestehen ausschliesslich darin, in Seattle von A nach B zu watscheln, Tatverdächtige zu verhören und Tatorte zu untersuchen. Unterwegs gibt es nichts zu tun, ausser gelegentlich an menschlichen Bluttankstellen Blut zu zapfen. Damit lade ich meine investigativen Vampirfähigkeiten auf, ohne die das Spiel nicht weitergeht. Es ist also eine komplette Zeitverschwendung.

Die implementierten, extrem lächerlichen, Romantik-Optionen für einige Nebenfiguren sind mir ein absolutes Rätsel. Viel mehr als die völlig offensichtlichen Antworten zu wählen, um das Gegenüber zu bezirzen, braucht es nicht. Sobald es zum Schäferstündchen kommt, wird das Bild für ein paar Sekunden schwarz. Mal höre ich etwas Gestöhne, vielleicht mal einen Satz oder eine Peitsche und das war’s. Dagegen ist «Leisure Suit Larry» ein Hardcore-Porno.

Die Stimmung im kitschig weihnachtlichen Seattle trägt einen gossen Teil dazu bei. Ein paar ikonische Bauten oder entdeckungswürdige Objekte mehr hätten zwar nicht geschadet. Ich schlendere oder besser gesagt, schwebe trotzdem gerne durch diese neonleuchtende Stadt. Denn selbst als reine Kulisse ist die Welt einen Besuch wert. Und die Geschichte aus Mord, Intrigen und Machtkämpfen passt perfekt hinein.

«Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2» ist kein echter Nachfolger von Troikas Kultrollenspiel. Aber ganz ehrlich: Hätte er anders geheissen, hätte ich ihn vermutlich nie ausprobiert. Wenn du wie ich Fan von Vampir-Geschichten und Film-Noir-Setting bist, steht dir ein spannender Krimi bevor. Mir hat er sogar wieder Lust auf das Original gemacht. Mal schauen, welche Klasse ich da noch nicht ausprobiert habe.

6 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


Gaming
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Hintergrund

Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.

Alle anzeigen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    «Borderlands 4» ist repetitiv, bietet kaum Innovation, aber die Beutegier lockt noch immer

    von Philipp Rüegg

  • Hintergrund

    Schaurig, aber niedlich: die Welt des süßen Horrors in Games

    von Kim Muntinga

  • Hintergrund

    «Helldivers 2» ist ein apokalyptisches Action-Spektakel

    von Philipp Rüegg