

Ein Kinderstuhl mit Hand und Fuss? Meine Tochter testet den Håg Capisco Puls

Wenn neun Jahre Lebens- auf mehrere Jahrzehnte Designerfahrung treffen, prallen Welten aufeinander. Passen sie zusammen und kann ein Kind vom «kleinen» Håg Capisco Puls profitieren? Es ist ein Modell, das mit seinen Aufgaben wachsen soll. Genau wie meine Tochter.
Dieser Testbericht ist ein kleines Experiment. Meine neunjährige Tochter weiss zum Glück noch nichts von Rückenschmerzen, Bewegungsmangel und viel zu langen Tagen am Schreibtisch. Aber es gibt nun mal den Bürostuhl namens Håg Capisco Puls 8020 Kids. Wer, wenn nicht ein Kind, sollte den testen? Das Angebot, diesen Stuhl auszuprobieren, findet meine gar nicht mehr so Kleine grossartig. Wir haben uns darauf geeinigt, ihr Gesicht nicht zu zeigen («das könnte ja jeder auf der Welt sehen!»). Aber ihre Gedanken und Erfahrungen dürfen hier einfliessen.
Natürlich spielen auch meine Eindrücke mit rein. Denn, das wird schnell klar, wir sehen diese Sitzgelegenheit mit komplett unterschiedlichen Augen. Sie lebt im Moment, ich krame in Erinnerungen und denke an die Zukunft. Unsere gemeinsame Ausgangslage ist ein grosser Karton, auf dem ganz oft «Håg» und ab und zu «made in Norway» steht. Die Firma Flokk stellt den Capisco Puls für mehrere Wochen zur Verfügung und alle sind gespannt, was bei diesem Experiment herauskommt.

Abwarten? No way!
Der Aufbau ist natürlich meine Sache, und ich bin gleich unter Druck: «Papi, machst du das nachher?» heisst es, sobald die Kiste in der Wohnung steht. Passt mir eigentlich gerade nicht, ich rechne mit einer grösseren Bastelaktion. Aber schlussendlich ist die Sache einfacher als gedacht: Ich muss die Gasdruckfeder ins Fusskreuz einsetzen, die Rückenlehne an die Sitzfläche schrauben und das Ganze aufstecken. Das dauert keine fünf Minuten und der benötigte Inbusschlüssel ist dabei. Meine Tochter ist zufrieden, der Capisco wird Richtung Kinderzimmer gerollt. Dann schliesst sich die Tür und die Dinge nehmen ihren Lauf.
Falls dir der Håg Capisco Puls bekannt vorkommt, kann das verschiedene Gründe haben. Zum einen ist er bekannt. Ein Klassiker. Zum anderen ist er ein naher Verwandter des vornehm gepolsterten Capisco 8106, den meine Kollegin Pia Seidel getestet hat. Obwohl sie Bürostuhlverächterin ist, hat es ihr die «Designikone» angetan. Bei diesem Modell lautet die Frage: Ist es auch was für Kinder? Filigraner und durch Kunststoffflächen robuster ist es vielleicht etwas weniger ikonisch, aber dafür auch deutlich günstiger.

Kann der Klassiker auch Kinderzimmer?
Die Chancen stehen ganz gut, denn immerhin hat Designer Peter Opsvik auch den Tripp Trapp entworfen. Für mich ist das der Inbegriff eines praktisch-mitwachsenden Möbelstücks. Er hilft Kleinkindern am Tisch, kippt nicht und dient Mami und Papi zur Not als Leiterersatz. Oft bleibt er im Haushalt, wenn die Kinder längst gross geworden sind. Auch der Bürostuhl Puls will kein klassischer Kinderstuhl, sondern ein Begleiter fürs Leben sein. Die austauschbare Gasdruckfeder – bei unserem Teststuhl ist mit 150 mm die kürzeste Variante dabei – senkt ihn weit genug ab. Ich messe in der tiefsten Position an der Vorderkante des gewölbten Sattelsitzes 40 Zentimeter. Mit Polster sollen es minimal 42,5 und maximal 52,5 Zentimeter sein.

In Kombination mit den Verstellmöglichkeiten an Lehne und Sitzfläche sorgt das dafür, dass er schon für jüngere Kinder infrage kommt. Meine Tochter, knapp 1,30 Meter gross, sitzt gut darauf. Ich bin einen halben Meter grösser und überrascht, dass er sich auch für mich am Schreibtisch nicht zu klein anfühlt, obwohl ab etwa 1,50 Meter Körpergrösse die 200-mm-Feder empfohlen wird. Theoretisch lässt sich der Puls ewig nutzen, denn die Einzelteile kannst du ersetzen und ihn in der Höhe bis hin zur Arbeit in fast stehender Position anpassen. Allenfalls benötigt er im Laufe der Jahre ein paar Ersatzteile. Neue Rollen, einen anderen Bezug. Aber sonst? Will er sich zeitlos einfügen. Apropos einfügen: Wie läuft’s im Kinderzimmer?
Wo ein Hebel ist, da wird gezogen

Als ich zum ersten Mal nachschaue, macht meine Tochter das, womit ich als Kind auch viele Stunden verbracht habe: Sie fährt den Stuhl rauf und wieder runter. Rauf, runter. Rauf, runter. Zumindest versucht sie es, denn das «runter» ist mit ihren 25 Kilogramm gar nicht so leicht zu bewerkstelligen. Die kurze Gasdruckfeder leistet erheblichen Widerstand. Mehr als ihr bisheriger Stuhl.
Der kommt dorther, wo ganz viel Kinderzimmer-Kram herkommt: von Ikea. Für um die 100 Franken und mit einem Grundgedanken beim Kauf: Der wird schon halten, bis er zu klein ist. Bislang tut er das und seine Feder ist leichtgängiger, ohne dass ich als Erwachsener damit kriminell schnell nach unten sausen würde. «Mit meinem komme ich leichter runter», sagt die Tochter, und wirft sich wieder auf den Puls.

Warum geht das beim Capisco so schwer? Absicht, erfahre ich von Flokk. Kinder könnten sich die Finger einklemmen, wenn es zu rasant auf- oder abwärts gehe. Allerdings gehe der Hersteller davon aus, dass die Eltern beim Einstellen des Stuhles einmalig helfen würden.
Das mache ich ein-, zwei-, dreimal. Die Sitzfläche muss weit nach hinten und die Rückenlehne nach unten. Über den Drehknopf an der Unterseite verstelle ich den Widerstand der beweglichen Lehne, die sich über den Hebel an der rechten Seite arretieren lässt. Ich könnte den Stuhl hundertmal einstellen.
Am Ende ist es so: Wo Hebel sind, da wird gezogen. «Er hat viele coole Möglichkeiten, ich bin ganz oft hin und her gerutscht», sagt meine Tochter ein paar Wochen später und zieht zur Demonstration den Hebel links hinten, um die Sitzfläche vor- und zurückzuschieben. Für sie ist der Stuhl eher Abenteuerspielplatz als Arbeitsgerät. Und das ist im Sinne des Erfinders.
Bewegung im Sitzen
Was den kindlichen Hang zum Hebelziehen und die veränderten Einstellungen angeht, bin ich entspannt. Meine Tochter hat keinen 8-Stunden-Tag am Schreibtisch, muss noch nicht an der Work-Life-Balance schrauben und kann einfach mal durchdrehen. Viel wichtiger als die korrekte Position der Sitzfläche ist mir, dass sie verinnerlicht hat, was der Capisco uns Erwachsenen wieder beibringen soll: Dass Bewegung und Positionswechsel dazu gehören, selbst wenn wir sitzen. Für Kinder ist das eigentlich selbstverständlich und der Stuhl fördert das, indem er mit seinem gewölbten Sattelsitz und der geflügelten Rückenlehne viele Spielarten anbietet.

Beim ersten Probesitzen dauert es keine Minute, bis meine Tochter sich umdreht, den Bauch an die Rückenlehne drückt und sagt: «So ist es auch bequem! So kann ich mich drehen und überall unterschreiben.» Sie übt gerade eine eigene Unterschrift und ich fürchte, dass sie beim Herumwirbeln versehentlich die Wände dekoriert. Statt blauer Farbe an weisser Wand finde ich ein paar Wochen später allerdings weisse Farbe an der schwarzen Rückseite des Stuhls und fange nervös an zu schrubben. Das gute Stück geht zum Ende des Tests ja an den Lieferanten zurück. Vorteil Kunststoff: Der Kollateralschaden lässt sich mit einem feuchten Tuch und etwas Geduld beseitigen.
«Manchmal habe ich mich sogar auf die Lehne gestellt, um auf mein Hochbett zu klettern», erfahre ich ausserdem. Jetzt bin ich froh um das ausladende Fusskreuz aus Aluminium und die Stabilität, die es verleiht. Nicht nur dem Stuhl, sondern auch meiner Tochter, die im Sitzen ganz automatisch die Füsse bei den geriffelten Flächen ablegt.

Beim Ufzgi machen oder Schreiben nimmt sie Haltung an und sitzt fest im Sattel. Da Reiten zu ihren Hobbys zählt, kennt sie sich aus und erkennt durchaus Ähnlichkeiten: «Man sitzt auch so», demonstriert sie, zentriert sich und positioniert die Beine seitlich. «Aber die Steigbügel fehlen!» Stimmt. Für die höheren Varianten des Capisco gibt es dafür einen Fussring, der zusätzliche Stabilität verleihen kann.
Doch nicht alles fällt ihr im Umgang mit dem gut 11 Kilogramm schweren Stuhl so leicht, wie das Spiel mit den Sitzpositionen. «Er ist ein bisschen schwerer zu wenden als meiner», sagt sie über den Puls. «Mit dem anderen fahre ich mehr rum, aber auf dem Stuhl habe ich mich mehr bewegt.» Sie merke schon, dass der Puls deutlich grösser, die Lehne breiter und der Sitz etwas härter sei. Dabei hat das Testmodell einen Bezug, der aus dem Capisco 8010 den 8020 macht. Die Sitzflächenmatte lässt sich abnehmen und austauschen. Sie wird an der Unterseite eingehakt und hält anschliessend, ohne zu verrutschen.

Für mich, der schon einige Zeit damit zugebracht hat, Bastel-Glibber und Kaugummi von der Sitzfläche ihres Stuhls zu kratzen, ist das ein praktischer Vorteil. Aus Kindersicht zählen andere Dinge: Meine Tochter würde den Puls direkt ganz umgestalten. Die Farbkombination des Testmodells ist ihr zu trist.
«Ich fänd’s schon, wenn man die Farben etwas mischen würde. Blau und Gelb zum Beispiel. Ich fühle mich auf einem bunten Stuhl anders.» Hätte sie die Wahl, stünde hier weniger Grau und mehr Papagei. Es gibt verschiedene skandinavisch-geschmackvolle Farbvarianten. Vielleicht nicht ganz das, was meiner Tochter im Moment vorschwebt, aber auf lange Sicht wäre das wohl eine weise Wahl. Eine dezente Kombination gefällt auch noch mit 16. Oder mit 66.

Ihr Geschmack wird sich ändern. Die Anforderungen mit dem Alter auch. Sobald die Arbeitszeit am Schreibtisch zunimmt, werden die richtige Position und das aktive Sitzen wichtiger werden. Als ich meine Tochter frage, wie ihr der Teststuhl im Vergleich zu ihrem gefallen hat, tut sie sich verständlicherweise schwer mit der Antwort. Noch ist für sie jeder Stuhl ein Klettergestell und vermutlich kann sie sich nicht vorstellen, dass sich das mal ändern wird. Dass wir, wenn wir nicht aufpassen, im Laufe der Jahre mit Bürostuhl und Bildschirm zu einer dysfunktionalen Einheit verschmelzen. Ich würde ihr das gerne ersparen. Genau wie die Aufgabe, sich eine «fundierte» Bewertung aus den Fingern zu saugen, wenn sie die grossen Unterschiede noch gar nicht spürt.
Also frage ich sie, wie viele von fünf Sternen sie dem Capisco Puls Kids geben würde. «Ich würde ihm vier oder viereinhalb Sterne geben», sagt sie nach kurzem Überlegen. «Auf dem Stuhl kann ich mich zwar ziemlich viel bewegen, aber die Flügel habe ich eigentlich nicht gebraucht.» Ich habe das anders beobachtet. Sie hat, teilweise unbewusst, die Arme um den seitlich abstehenden Lehnenteil gelegt, immer wieder die Beine darunter geschlungen oder verkehrt herum gesessen. Das, was nicht da ist, die Aussparungen, sind entscheidend dafür, dass dieser – bis auf die kurze Gasdruckfeder – grosse Stuhl auch schon für kleine Menschen funktioniert. In fast allen Lagen zumindest. «Beim Schreiben war die Lehne in der Mitte im Weg», bemängelt meine Tochter, die gerne umgekehrt auf dem Stuhl sitzt und noch nicht ganz darüber hinweg arbeiten kann.

Weg mit der Lehne?
Mit diesen Erkenntnissen will ich den Stuhl wieder einpacken und stelle fest, dass sich die Gasdruckfeder zwar ohne Werkzeug einsetzen, aber nicht wieder ausbauen lässt. Logisch. Sie muss ja halten, wenn der Stuhl angehoben wird und tut das auch. Da ich weder Gummihammer noch andere hilfreiche Tools zur Hand habe, baue ich nur die Lehne ab und warte darauf, dass der Stuhl wieder abgeholt wird. In der Zwischenzeit nutzt meine Tochter ihn weiter. «Vielleicht ist er so sogar besser für mich», sagt sie auf dem lehnenlosen Hocker an ihrem Puzzletisch. Stimmt. So lässt er sich natürlich auch nutzen.
Fazit
Mit neun Jahren darf die Welt alles, nur nicht grau sein. Mit mehr Farbe wäre die Begeisterung meiner Tochter exponentiell gestiegen, aber auch so hat sie den Stuhl gerne genutzt und sich intuitiv darauf bewegt. Nur die Gasdruckfeder hat ihr das Leben etwas schwer gemacht, ausserdem braucht das Fusskreuz etwas mehr Platz zum Manövrieren. Aus ihrer Sicht sind vier Sterne fair für den Stuhl.
Ich habe viel beobachtet, was mir gefällt, und mir dabei eine Frage gestellt: Was soll es sein? Ein Stuhl fürs Leben? Oder verschiedene Lebensabschnittsstühle? Für den Preis eines Capisco Puls Kids könnte ich ihr sicher drei andere kaufen. Einen papageibunten Kindertraum, eine Teenager-Geschmacksverirrung und einen für Erwachsene. Nachhaltig, besser und ergonomischer wäre das nicht. Ich glaube nicht an den einen Überstuhl, der alles unglaublich viel besser macht als die anderen. Aber ich glaube an durchdachtes Design, das langlebig ist und sich den Bedürfnissen anpassen lässt. In diese Kategorie gehört der Capisco, er fördert auch im Sitzen ein bewegtes Leben, indem er an den entscheidenden Stellen Freiraum lässt.



Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.