Produkttest

Devialet Phantom I: Der Live-Gig im Wohnzimmer

David Lee
28.3.2022

Falls du multiroomfähige Aktivboxen suchst und gerade nicht weisst, wie du 6500 Franken verlochen sollst, habe ich einen heissen Tipp für dich.

Das Leben ist zu kurz für schlechte Lautsprecher. Deshalb probiere ich etwas richtig Teures aus. Der Devialet Phantom I 108 dB kostet über 3000 Franken. Ich teste zwei – schliesslich lassen sie sich als Multiroom-System oder in Stereo betreiben. Kostenpunkt: etwa 6500 Franken.

Fürs Geld bekommst du laut Devialet einen Hochtöner aus Titan, einen «Klang in reiner und unverfälschter Form, veredelt in feinem 22-karätigem Gold» – was auch immer das heissen soll. Die Mittel- und Tieftöner sind jedenfalls aus Aluminium. Die titelgebenden 108 dB Lautstärke entsprechen offenbar 1100 Watt Sinus und sind lauter, als im Club in der Nähe einer Box zu stehen. Einen Waffenschein brauchst du dafür erstaunlicherweise nicht.

Nicht nur der Preis ist happig, sondern auch das Gewicht. Eine Box wiegt elf Kilogramm. Schliesslich enthält sie einen sehr leistungsfähigen Verstärker. Vielleicht braucht es das Gewicht auch zur Stabilisierung bei hoher Lautstärke.

Das Design der Phantom-Speaker ist gewöhnungsbedürftig. Insbesondere bei der weissen Variante: Die Bürokolleginnen und -kollegen tippen beim Auspacken auf einen Luftbefeuchter. Einmal aufgestellt, sehen die Dinger schon deutlich besser aus als beim Auspacken.

Erster Eindruck

Die Bedienungsanleitung beschränkt sich auf den Hinweis, die App herunterzuladen. Alles weitere sollte ich dann in der App sehen. Die Inbetriebnahme mit der Smartphone-App funktioniert, dauert aber bei jedem Schritt mehrere Minuten.

Der erste Höreindruck: Klingt ganz gut. Aber die Wirkung eines Einzelgeräts ist limitiert. Also nehme ich das zweite Phantom in Betrieb und verbinde es mit dem ersten. Beide Lautsprecher ertönen gleichzeitig, damit habe ich bereits ein einfaches Multiroom-System. Durch einen weiteren Klick auf der App verbinden sich die beiden Lautsprecher zu einem Stereo-Paar.

Ich bin begeistert. «Revelator» von Gillian Welch hört sich an, als ob ein Konzert live in meinem Wohnzimmer stattfindet. Ich bekomme Gänsehaut.

Die Phantom-Speaker können aber auch basslastig. Genauer gesagt ist das sogar ihre Spezialität. Hip Hop kommt gut. Noch besser kommt «Bad Guy» von Billie Eilish. Was für eine Wucht. I like when you get mad!

Zweiter, dritter und vierter Eindruck

Die Erfahrung lehrt mich, dass sich die erste, spontane Begeisterung schnell legen kann. Also weiter kritisch bleiben und genau hinhören.

Sind die beiden Boxen mono, also in verschiedenen Räumen, lassen sich Lautstärke und Klang pro Box regeln. Nicht aber im Stereo-Modus. Ebenso lässt sich der Equalizer nicht einzeln regeln, wenn eine Box aufgrund der Raumpositionierung anfälliger ist für unerwünschte Wandreflexionen.

Andererseits stimmt, was Devialet behauptet: Die Phantom-Lautsprecher sind weniger stark als andere von einer idealen Raumakustik abhängig. Vielleicht liegt es daran, dass die Tieftöner seitlich abstrahlen; jedenfalls klingt die Box in den unterschiedlichsten Räumen und Positionen gut.

Letztlich bleibe ich bei meinem ersten Eindruck: Diese Boxen klingen exzellent. Bei jeder Lautstärke, in jeder Raumgrösse und mit jeder Einstellung. Charakteristisch ist und bleibt das Live-Gefühl.

Nicht selbsterklärend, nicht fremderklärend

Dann ist da noch die Bedienung des Lautsprechers selbst. Das Gerät hat nur einen Schalter, es scheint also einfach zu sein. Doch der Eindruck täuscht.

Nach zwei Tagen hatte ich es endlich begriffen: Ein kurzes Drücken des Ausschaltknopfes schaltet den Speaker nicht aus. Er macht dann nur ein seltsames Geräusch. Dieses gibt den Status des Gerätes an. Um den Speaker auszuschalten, muss ich die Einschalttaste etwa drei Sekunden gedrückt halten. Aber auf keinen Fall zu lange, denn dann wird der Speaker zurückgesetzt. Das Ausschalten quittiert er mit einem Wumms, bei dem sich der Tieftöner sichtbar bewegt.

Was die Verwirrung komplett macht: Beim Berühren des Lautsprechers schaltet sich dieser von selbst wieder ein. Ich habe die Hand immer auf dem Lautsprecher abgestützt. Und weil das Einschalten immer einige Sekunden dauert, nicht gemerkt, was die Handberührung auslöst.

Ohne Hilfe ist das alles schwierig herauszufinden. Weder die Kurzanleitung noch die App erklären es.

Wenn du mal weisst, wie es funktioniert, dann funktioniert es perfekt. Es ist auch möglich, die Box komplett vom Netz zu trennen, ohne dass die Einstellungen in der App verloren gehen. Nicht ganz unwichtig, wenn du die Lautsprecher an einem anderen Ort aufstellen willst.

Fazit: Klingen hervorragend, passen aber nicht zu mir

Aber das ist nur meine persönliche Situation. Falls du rein digital unterwegs bist und das nötige Kleingeld locker hast, empfehle ich die Phantom I. Bloss will ich dann nicht dein Nachbar sein.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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