Kritik

Das chinesische Playstation-Game «Lost Soul Aside» scheitert an den eigenen Ambitionen

«Lost Soul Aside» hat eine bemerkenswerte Entwicklungsreise hinter sich. Diese endet leider in einem enttäuschenden Endprodukt.

In der Gaming-Welt gibt es immer wieder inspirierende Underdog-Stories. Schöne Geschichten von leidenschaftlichen Entwicklerinnen und Entwicklern, die entgegen aller Erwartungen ihre Vision umsetzen und den grossen Durchbruch schaffen.

Gerne hätte ich in diesem Beitrag zu «Lost Soul Aside» auch so eine Story erzählt. Was als Solo-Projekt des chinesischen Entwicklers Yang Bing anfing, wuchs zu einer turbulenten zehnjährigen Entwicklungsreise voller Rückschläge heran.

Leider endet die Geschichte nicht mit einem Happy End, sondern mit einem ernüchternden Spiel, das an seinen eigenen Ambitionen scheitert.

Der Protagonist des Spiels und sein Begleiter – ein interdimensionaler Drache.
Der Protagonist des Spiels und sein Begleiter – ein interdimensionaler Drache.

Eine turbulente elfjährige Entwicklungsgeschichte

Bevor ich «Lost Soul Aside» kritisch analysiere, lohnt es sich, die Entwicklungsgeschichte näher zu beleuchten. Seinen Ursprung hat das Spiel im Jahr 2014. Der chinesische Student Yang Bing ist grosser Gaming-Fan und liebt RPGs wie «Final Fantasy» und knallharte Action-Titel à la «Bayonetta», «Ninja Gaiden» und «Devil May Cry». Ein Trailer zu «Final Fantasy XV» fasziniert ihn so sehr, dass er sich entschliesst, selber in die Welt der Game-Entwicklung einzutauchen.

In Eigenregie bringt er sich Design- und Programmier-Skills bei und lernt, mit der Unreal Engine 4 umzugehen. Nach zwei Jahren Selbststudium und Experimentieren veröffentlicht er 2016 einen fünfminütigen Trailer zum aktuellen Stand seines Solo-Projekts «Lost Soul Aside». Das Video geht viral. Kein Wunder, denn das Gezeigte ist verdammt beeindruckend – vor allem für ein Ein-Mann-Projekt!

Im selben Jahr beginnt Sony im chinesischen Gaming-Markt mitzumischen. Der japanische Konzern lanciert das «Playstation China Hero Project». Dabei handelt es sich um eine Initiative, mit der chinesische Teams in den Bereichen Entwicklung, Publishing und Marketing von Sony unterstützt werden. Sony wird dank des viralen Trailers zu «Lost Soul Aside» auf Bings Projekt aufmerksam und bietet ihm einen Platz in der Initiative an.

Bing sagt zu und gründet ein Jahr später mit Sonys Hilfe sein eigenes Studio – Ultizero Games. Das zunächst nur fünfköpfige Team arbeitet hart am Titel. Die Ambitionen und Anzahl Mitarbeitende wachsen mit den neuen Ressourcen schnell – zu schnell. Ende 2019 befindet sich das Projekt gemäss chinesischen Berichten in einer Sackgasse. Ursprünglich geplante Open-World-Elemente müssen aufgrund mangelnder Erfahrung der Entwickler und Designer gestrichen werden. Rund ein Jahr später erfolgt ein kompletter Reset des Projekts.

Die Covid-Pandemie macht Bings Team in einer entscheidenden Entwicklungsphase einen weiteren Strich durch die Rechnung. Die Lockdowns verlangsamen das Tempo des Projekts massgeblich und viele Mitarbeitende verlassen das Unternehmen. Laut einem Bericht aus China steht Bing in dieser Zeit unter massivem Stress – er verliert Haare und wird zunehmend grau.

Ob dieses Level wohl mal ein Open-World-Gebiet war?
Ob dieses Level wohl mal ein Open-World-Gebiet war?
Quelle: Ultizero Games

Sony schreitet in dieser schwierigen Zeit ein. Ultizero bekommt auf verschiedenen Ebenen Unterstützung von Playstation – auch substanzielle Anpassungen an der Story werden durchgeführt. Es folgen Verschiebungen des Release-Datums und Skandale durch geleakte interne Dokumente, in denen eine Mitarbeiterin rassistische Aussagen tätigt.

Ende August erscheint «Lost Soul Aside» schliesslich für die PS5 und PC – ohne grosses Marketing und ohne Reviews zum Launch. Die Fans sind skeptisch. Wie sich herausstellen sollte, leider zu Recht.

Ein Liebesbrief ohne Substanz

Aufgrund der verrückten Entwicklungsgeschichte werde ich auf den Titel aufmerksam und entschliesse mich, ihn zu testen. Schon in den ersten Spielminuten wird Bings Liebe zu «Final Fantasy» – und im Speziellen «Final Fantasy XV» – ersichtlich. Das Spiel ist ein Liebesbrief an die legendäre JRPG-Serie von Square Enix. Manchen mögen die offensichtlichen Inspirationen etwas plump vorkommen, ich feiere sie jedoch. Ich spüre sofort die Leidenschaft hinter dem Projekt.

«Good artists copy, great artists steal.»
«Good artists copy, great artists steal.»

In «Lost Soul Aside» übernehme ich die Rolle von Kaser, einem Widerstandskämpfer, der sich zusammen mit seiner Rebellengruppe gegen die Tyrannei eines erdrückenden Imperiums einsetzt. Als wäre die Bedrohung durch den fiesen Imperator nicht schon genug, erscheinen plötzlich interdimensionale Kreaturen in der Hauptstadt – die sogenannten «Voidrax» – und stehlen die Seelen vieler Bewohner. Auch meine Schwester muss dran glauben.

Ich schliesse mich mit einem der «Guten» Voidrax zusammen. Der Drache «Lord Arena» begleitet mich fortan auf meiner interdimensionalen Suche nach den verlorenen Seelen und der Seele meine Schwester.

Auf meiner Reise stehen mir sowohl imperiale Soldaten als auch allerlei Voidrax-Monster im Weg.
Auf meiner Reise stehen mir sowohl imperiale Soldaten als auch allerlei Voidrax-Monster im Weg.
Quelle: Ultizero Games

Meine anfängliche Begeisterung über das «Final Fantasy»-Flair wandelt sich mit zunehmender Spielzeit in Ernüchterung. Dem Liebesbrief fehlt es an Substanz.

Ja, die Charaktere könnten mit ihren verrückten Frisuren und over-the-top Kostümen einem «Final Fantasy»-Spiel entsprungen sein. Aber keiner der Charaktere, die ich kennenlerne, bleibt hängen. Die Figuren wirken seelenlos (pun intended), zweidimensional und uninteressant. Es entwickelt sich keine spannende Geschichte, viele Storylines versanden, ich fiebere mit niemandem mit, es ist mir alles egal.

Das hat wohl auch mit den oftmals unfreiwillig komischen Zwischensequenzen und Dialogen zu tun. Mich beschleicht das Gefühl, dass hier im Rahmen der neu ausgerichteten Story viele Sachen herumgeschoben, geschnitten oder sonst wie auf den letzten Drücker verändert wurden.

Die Cutscenes sind holprig.
Die Cutscenes sind holprig.

Auch die englischen Synchronstimmen sind ... naja, nicht gut. Viele Performances wirken uninspiriert, manche sind sogar verdammt nervig. Allen voran Lord Arena, der, ich kann es nicht anders beschreiben, ein Arschloch ist. Der Voidrax-Drache beleidigt und beschimpft mich am laufenden Band.

«What were you thinking», schreit er, wenn ich sterbe. «Don't embarrass me», brüllt er mir vor einem Kampf ins Gesicht. «You should have listened to me» lässt er mich immer und immer wieder wissen. Das nenne ich mal eine toxische Beziehung.

Von Open World zu «empty world»

Auch das visuelle Design der Welten erinnert an Square Enix' legendäre JRPG-Reihe. Ultizero verbindet magische Fantasy-Elemente mit realistischeren visuellen Elementen und verschmilzt die Kontraste zu einem spannenden optischen Mix.

«Lost Soul Aside» sieht stellenweise sehr schön aus.
«Lost Soul Aside» sieht stellenweise sehr schön aus.

Aber auch hier weicht mein anfänglich positiver Eindruck der Ernüchterung. Auch hier fehlt die Substanz hinter dem Spektakel. Oftmals wandere ich durch oberflächlich beeindruckende, gross wirkende Levels mit opulenten Bauten und schöner Natur. In Wahrheit sind die Spielwelten jedoch nur leere Kulissen mit engen Schlauchlevels – ich fühle mich an Games aus der PS3-Ära zurückerinnert.

Die einzelnen Gameplay-Mechaniken, die ich in den Levels erlebe, sind ebenfalls aus der Zeit gefallen. Sie fühlen sich wie planlos zusammengestellte Fremdkörper an, die sich endlos wiederholen. Ich sammle Items und Gold. Ab und zu muss ich mich in frustrierenden Plattformer-Passagen mit Trial-and-Error-Prinzip beweisen. Die «Rätsel» sind belanglose Fleissarbeit. Und die Arena-Kämpfe gegen allerlei Schurken wiederholen sich alle paar Meter.

Ab und zu darf ich in Verfolgungsjagden auf meinem Schwert surfen. Auch diese Abwechslung fühlt sich wie ein Fremdkörper an.
Ab und zu darf ich in Verfolgungsjagden auf meinem Schwert surfen. Auch diese Abwechslung fühlt sich wie ein Fremdkörper an.

Manchmal bringt mich das Spiel in halboffene Spielgebiete, in denen ich bestimmte Sachen erledigen muss, damit ich vorankomme. Sie wirken wie Überbleibsel des zu ambitionierten, verworfenen Open-World-Ansatzes. Was bleibt, ist eine leere Hülle dessen, was hätte sein können. Schade, dass sich das Entwicklerteam in Ideen verlaufen hat, die zu nichts geführt haben, statt sich auf die Kernkompetenzen von Yang Bing zu konzentrieren: das Kampfsystem.

Das Kampfsystem fetzt

Eines muss man «Lost Soul Aside» lassen – das Kampfsystem ist sehr, sehr gut. Auch hier spüre ich Bings Inspirationen und Liebe zum Ursprungsmaterial sofort. Ein bisschen «Bayonetta», gemischt mit «Ninja Gaiden» und einer Prise «Devil May Cry». Der ursprüngliche Trailer aus dem Jahr 2016 vermittelt die Vibes des Kampfsystems schon erstaunlich gut.

Es scheint, als wären die intensiven, ultraschnellen und wunderschön inszenierten Kämpfe von Anfang an der Kern des Gameplays gewesen. Dieser Kern hat all die Rückschläge und Resets überlebt – und das mit erstaunlich viel Fleisch am Knochen. Im Gegensatz zur Story und dem Leveldesign macht sich mit zunehmendem Spielverlauf auch keine Ernüchterung breit – im Gegenteil. Das Kampfsystem wird immer besser und besser.

Die Kämpfe sind schnell, fordernd und schön anzusehen.
Die Kämpfe sind schnell, fordernd und schön anzusehen.
Quelle: Ultizero Games

Gegner bearbeite ich mit verschiedenen Waffen, die ich im Spielverlauf freischalte. Einige davon sind gross und schwerfällig, mit anderen schlage ich mit beängstigender Geschwindigkeit auf Feinde ein. Das Combo-System macht Spass – ich verbinde verschiedene Angriffsmuster zu verheerenden Attacken und lade nebenbei mehrere Leisten für Spezialattacken auf. Löse ich diese aus, werde ich mit herrlich übertriebenen und übermächtigen Angriffssequenzen belohnt. Abgerundet wird das Ganze mit Ausweichmanövern und Blocks, die bei perfektem Timing ihre volle Wirkung entfalten.

Das Game schafft es, mit seinem Upgrade-System immer wieder neue Elemente in den Kampf einzuführen. Ständig schalte ich neue Attacken, Waffen oder Ausrüstung frei, mit denen ich neue Strategien wage.

Und Action!
Und Action!

Schade nur, sind die Kämpfe in einem so öden Leveldesign-Korsett gefangen. Auch wenn ich Spass am Kämpfen habe, ermüde ich aufgrund der repetitiven Spielstruktur nach einigen Spielstunden. Wenn ich alle paar Schritte gezwungen werde, die immer gleichen Fusssoldaten wegzuhauen oder Bosse nach dem immer gleichen Muster zu besiegen, brauche ich auch mal eine Pause – egal wie gut das Kampfsystem ist.

Technische Probleme und Ausblick

Die technische Umsetzung von «Lost Soul Aside» ist ein weiterer Indikator für die turbulente Entwicklung und die zahlreichen Last-Minute-Änderungen, die am Projekt durchgeführt wurden. Auf meiner interdimensionalen Reise werde ich im Performance-Modus auf der PS5 Pro immer wieder von nervigen Rucklern begleitet – dies, obwohl auf dem Bildschirm nicht viel los ist. Auch der Ton will nicht immer mitmachen. Lieder brechen plötzlich ab, Dialoge werden abgeschnitten.

Das Spiel leidet zudem an unübersichtlichen Menüs, einer stellenweise zu sensiblen Steuerung und an einer nervigen Kamera, die vor allem während Bosskämpfen verlässlich das zeigt, was ich nicht sehen will.

Selbst in solch leeren Gebieten ruckelt das Spiel
Selbst in solch leeren Gebieten ruckelt das Spiel

Wie es mit dem Spiel weitergeht, ist unklar. Auf Opencritic sitzt das Projekt auf einer Durchschnittswertung von 63, die Steam-Statistiken verraten einen mageren Peak von gerade mal 3070 gleichzeitigen Spielern. Das Studio geht auf die Kritiken ein und arbeitet an Patches für das Spiel. Eine Comeback-Story à la «No Man's Sky» scheint jedoch unwahrscheinlich – dafür ist das Fundament des Spiels zu bröckelig.

Bleibt zu hoffen, dass Ultizero und Yang Bing trotz missglücktem Erstlingsprojekt noch eine Chance bekommen, ihre Vision in einem weiteren Spiel umzusetzen. Ich würde es ihnen gönnen.

«Lost Soul Aside» ist für PS5 und PC erhältlich. Das Spiel wurde mir von Sony für die PS5 (Pro) zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

Fazit

Neben spektakulären Kämpfen ist in «Lost Soul Aside» nicht viel los

Ich hätte dem leidenschaftlichen Entwickler Yang Bing und seinem Team Ultizero mit «Lost Soul Aside» den ganz grossen Hit gegönnt. Was als Herzensprojekt eines Gaming-Fans anfing, entwickelte sich zu einem Titel, der an seinen eigenen Ambitionen scheitert.

Der Kern des Spiels ist durchaus stimmig. Das schnelle Kampfsystem ist spektakulär inszeniert, fordernd und macht Spass. Auch die visuelle Präsentation ergibt mit den offensichtlichen «Final Fantasy»-Inspirationen insgesamt ein solides Bild ab. Hinter der Fassade steckt aber wenig Substanz. Die einzelnen Elemente des Games wirken planlos und chaotisch zusammengesetzt, das öde Leveldesign nutzt sich schnell ab und die Story kommt nicht in Fahrt.

Ich denke mit Wehmut daran, was aus diesem Projekt hätte werden können – mit realistischen Ambitionen, ohne globale Pandemie und mit etwas mehr Glück. Bleibt zu hoffen, dass Bing und sein Team noch eine zweite Chance bekommen.

Pro

  • gelungenes Kampfsystem

Contra

  • ödes Leveldesign
  • eine Story zum Vergessen
  • technische Probleme
Sony Lost Soul Aside (PS5, DE)
Game
Neu
CHF67.90

Sony Lost Soul Aside

PS5, DE

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Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.


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