Kritik

«Clair Obscur: Expedition 33» ist mein JRPG des Jahres

Kevin Hofer
23.4.2025

Bist du Fan japanischer Rollenspiele oder frankophil, ist «Clair Obscur: Expedition 33» für dich Pflichtstoff. Das Spiel des kleinen französischen Entwicklungsteams überzeugt nicht nur bei der Präsentation, sondern auch durch die Evolution des rundenbasierten Kampfsystems.

Puh.

Story mit vielen Wendungen und Enthüllungen

Jedes Jahr zur gleichen Zeit erwacht die gigantische Malerin aus ihrem Schlaf und schreibt eine Nummer auf ihren Monolithen. Alle Personen, die das Alter der Nummer überschritten haben, scheiden aus dem Leben. Deshalb macht sich jedes Jahr eine Expedition auf, der Herrschaft der Malerin ein Ende zu setzen.

Gleich nach der Gommage macht sich die Expedition 33 zum Monolithen auf. Selbstverständlich läuft nichts nach Plan und das zusammengestauchte Team bestehend aus Gustave, Maelle, Lune und Sciel muss den Kontinenten – Lumière ist auf einer Insel – selbst erkunden. Das zeigt, wie wenig die Bewohnerinnen und Bewohner abseits von ihrer Stadt die Welt in «Clair Obscur» kennen. Sie entdecken sie quasi mit mir.

Dass es dabei zu einigen Enthüllungen kommt, ist klar. Viele davon werden angetönt, sind aber durchaus nicht von vornherein klar. Mir hat die Hauptstory sehr gut gefallen, was primär an den Charakteren liegt.

An den Charakteren und deren Beziehung habe ich dennoch etwas auszusetzen: Sie funktionieren ausschliesslich über Gustave. Die drei Frauen sind zwar Freundinnen und kämpfen für eine gemeinsame Sache, aber ihre Beziehungen untereinander kommen mir zu kurz.

Kennenlernen tue ich die Charaktere nicht nur in der Hauptstory, sondern auch im Camp, das ich jederzeit auf der Weltkarte aufschlagen kann. Hier kann ich optionale Dialoge führen. Dabei geht es glücklicherweise nicht immer ernst zu und her, sondern sie sind auch mal zu Scherzen aufgelegt.

Nebencharaktere gibt es auch, sie spielen aber eine noch kleinere Rolle als in anderen Rollenspielen. Das passt einerseits, weil es den Eindruck der Welt von «Clair Obscur» als desolat und wenig bevölkert unterstützt. Andererseits bleibt so mehr Zeit für die eigentlichen Charaktere und deren Beziehungen.

Präsentation mit Licht und Schatten

Der Name «Clair Obscur» ist Programm: Das Team von Sandfall Interactive spielt bei der Präsentation mit Licht und Schatten. Starke Kontraste stehen im Fokus. So wirken viele Umgebungen wie Gemälde. Viele davon sind auch surreal. In Fliegende Wässer etwa ist die Umgebung gleichzeitig unter Wasser und nicht unter Wasser. Das ist wunderschön wie auch verstörend.

Aber nicht nur die Umgebung ist abwechslungsreich, sondern auch die vielen Gegner. Deren Design könnte einmal aus einem Kinderbilderbuch und ein andermal aus einem Albtraum stammen. Dabei reicht die Grösse der Gegner von Kniehöhe bis zu mehreren hundert Metern. Kämpfe, wie der eingangs geschilderte gegen den Dualliste, brennen sich mir ins Gedächtnis. Aber auch die optionalen Kämpfe gegen Pantomime sorgen vor allem visuell immer wieder für Abwechslung. Herrlich.

Apropos Sprachausgabe: Die ist in beiden verfügbaren Varianten toll. Ben Starr, bekannt aus «Final Fantasy XVI», spricht eine der Hauptrollen und mit Andy Serkis als Renoir ist sogar eine bekannte Hollywood-Grösse an Bord. Gefallen hat mir dennoch die französische Version besser. Schon nur, weil ein «Putain de merde» in echtem Französisch, ohne englischen Akzent, einfach besser klingt.

Das Beste zum Schluss: das Kampfsystem

Vieles läuft Gameplay-technisch in «Clair Obscur: Expedition 33» gleich ab wie in anderen japanischen Rollenspielen:

  • Ich rüste meine Charaktere mit Waffen und Rüstung – Pictos genannt – aus.
  • Nach Kämpfen erhalte ich Erfahrungspunkte und steige dadurch in Levels auf.
  • Ich verteile die dadurch erhaltenen Statuspunkte und lerne neue Attacken.
  • Kämpfe laufen rundenbasiert ab.

So weit, so JRPG. Wo sich das Spiel von anderen abhebt, ist durch den Einbezug zeitbasierter Interaktionen. Wenn ich etwa mit Maelle einen Angriff ausführe, muss ich zu bestimmten Zeitpunkten die A-Taste auf meinem Controller betätigen. Treffe ich diesen perfekt, erhöht sich meine Chance auf kritische Treffer. Wichtiger als beim eigenen Angriff sind die Interaktionen bei Angriffen der Gegner.

So kann ich etwa ausweichen oder parieren. Dazu muss ich die entsprechende Taste zum korrekten Zeitpunkt betätigen. Da die Angriffe der Gegner meist aus mehreren Attacken bestehen, muss ich mir ihre Muster genau einprägen. Denn: bereits auf dem normalen Schwierigkeitsgrad verursachen sie ordentlich Schaden und das Zeitfenster ist kurz. Gelingt es mir, jeden Schlag zu blocken, führen die Charaktere Gegenangriffe aus.

Das klingt erstmal simpel, bringt aber eine ganz neue Komponente in den rundenbasierten Kampf, die mir als Metroidvania-Fan wahnsinnig viel Spass macht. Denn es erfordert Präzision und schnelle Reaktionen. Es ist, als hätten meine beiden Lieblings-Genres ein Baby gezeugt, das ich jetzt hegen und pflegen darf.

Falls du zu jenen gehörst, die lieber nicht aktiv kämpfen, kannst du das Spiel auch auf «Einfach» zocken. Dann nehmen die Charaktere weniger Schaden und es ist nicht nötig zu blocken. Alle, die eine richtige Challenge wollen, können auch auf «Schwer» stellen oder nach erstmaligem Durchspielen ein «New Game+» starten.

Meine Kritik am Gameplay betrifft denn nicht das Kampfsystem, sondern die Erkundung. Vor allem bei den Minispielen muss ich Plattformer-Passagen absolvieren. Die sind meiner Meinung nach nicht gut gelungen. Auch, dass gewisse Dungeons, vor allem solche im frühen Spielverlauf, schlauchartig sind, stört mich. Aber das sind allesamt Details, die dem eigentlichen Spielvergnügen keinen Abbruch tun.

«Clair Obscur: Expedition 33» wurde mir von Kepler Interactive zur Verfügung gestellt. Ich habe die PC-Version getestet. Das Spiel ist ab dem 24. April 2025 für PS5, Xbox Series X/S und PC erhältlich.

Fazit

Ein JRPG-Juwel aus Europa

Aus gerade Mal 30 Personen besteht das Team von Sandfall Interactive, das hinter «Clair Obscur: Expedition 33» steht. Wieso ich das erwähne? Die meisten anderen derart grossen Spiele entstehen aus weit umfangreicheren Teams. Das merke ich dem JRPG aber nicht an. Im Gegenteil: Story, Präsentation und Gameplay sind schlicht genial und lassen gar Genre-Primuse wie «Final Fantasy XVI» hinter sich. Müsste ich eine Top-5-Liste meiner Lieblings-Rollenspiele erstellen, wäre «Clair Obscur: Expedition 33» darunter. Das liegt auch am tollen Twist, die rundenbasierten Kämpfe mit zeitkritischen Interaktionen zu verschmelzen. Was einfach klingt, erweitert das mir wohl vertraute System sinnvoll.

Hinzu kommt eine tolle Welt, die von Frankreich zur Belle Époque inspiriert ist und diese mit mythischen Wesen in einer endzeitlichen Welt kombiniert. Damit nicht genug, verbindet das Team von Sandfall Interactive das Ganze mit einer emotionalen Geschichte über Verlust und nachvollziehbaren, liebenswerten Charakteren. Abgerundet wird das Ganze durch einen der schönsten Soundtracks, die ich in den letzten Jahren gehört habe.

Einzige Kritikpunkte sind häufige Pop-ins und etwas hölzern wirkende Charaktere ausserhalb von Zwischensequenzen. Gameplay-technisch gibt es wenig zu bemängeln. Mich stören die gelegentlichen Plattformer-Passagen und die Steuerung bei Minispielen. Das sind aber alles Details.

Kurz: «Clair Obscur: Expedition 33» ist ein Meisterwerk und zeigt, wie sich Rollenspiele mit rundenbasierten Kämpfen auch im 2025 noch frisch anfühlen können. Es ist mit grosser Wahrscheinlichkeit mein JRPG des Jahres.

Pro

  • sympathische Charaktere
  • spannende Geschichte
  • tolle Präsentation
  • bombastischer Soundtrack
  • innovatives, rundenbasiertes Kampfsystem

Contra

  • zahlreiche Pop-ins
  • nervige Plattformer-Passagen
  • Charaktermodelle ausserhalb von Zwischensequenzen wirken hölzern

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