News & Trends

Chris: Der digitale Beifahrer feiert Weltpremiere

Weltpremiere: Ein deutsches Startup zeigt an der IFA einen smarten Beifahrer. Das kleine Gerät am Rückspiegel heisst Chris und steuert Musik, Navigation und Kommunikation.

An der Berliner IFA wird in diesem Jahr eines gross geschrieben: AI, die künstliche Intelligenz. Sobald ein Computer etwas mitdenkt oder mit etwas anderem redet, ist das AI. In diese Reihe reiht sich das deutsche Startup German Autolabs mit Chris ein. Die smarte Halbkugel ist am vergangenen Freitag als Weltpremiere an der IFA vorgestellt worden.

Chris macht sich vor allem damit einen Namen, günstig und flexibel zu sein. Der digitale Beifahrer, wie ihn die Firma nennt, ist in jedes Auto einbaubar. Denn Chris ist nicht der einzige smarte Beifahrer an der IFA. Samsung zeigt einen BMW, der sich nahtlos in die Smart Things einfügt. Das heisst, dass das Auto dem Backofen zu Hause das Kommando geben kann, sich vorzuwärmen, wenn du das Büro verlässt. Das Problem: Du musst dir dafür einen neuen BMW kaufen. Das kann nicht jeder.

Chris kann in jedes Auto eingebaut werden
Chris kann in jedes Auto eingebaut werden
Quelle: Stephanie Tresch

Chris ist noch weit davon entfernt, mit irgendwas in deinem Heim zu reden. «Chris ist dazu da, die Fahrt zu vereinfachen und dich nicht vom Verkehr abzulenken», sagt Holger Weiss, Mitgründer der German Autolabs. Daher sei die Integration in ein Smarthome-Ökosystem keine Priorität.

Wedeln und Reden

Chris ist ein rundes Objekt, das mit einer Frauenstimme mit dir spricht. Du befestigst das Teil entweder unter deinem Rückspiegel oder in der Mitte deines Armaturenbretts im Auto. Auf der Halbkugel läuft eine Linux-Distro, die darauf ausgelegt ist, möglichst wenig Augenmerk auf sich zu ziehen. Dazu nutzt Chris Gesten und Stimmkommandos.

Chris wird am Rückspiegel oder am Armaturenbrett befestigt
Chris wird am Rückspiegel oder am Armaturenbrett befestigt
Quelle: Stephanie Tresch

«Hey Chris» beginnt eine Kommandosequenz. Das Gerät versteht Deutsch und Englisch. Andere Sprachen sollen später hinzukommen. Eine Sprache hinzuzufügen dauere nur wenige Wochen, ausser Chinesisch. Das dauere länger. Das Piktogramm eines Mikrofons wechselt von grau zu gelb. Chris hört zu.

«Spiele Musik» startet den Audioplayer. Auf dem Display erscheint ein Audio-Player, der visuell recht uninteressant ist. Eine Mini-Ansicht des Album Covers und dann etwas Text darunter. Bisher spielt Chris nur lokal auf einem per Bluetooth verbundenen Smartphone gespeicherte Musik ab. In der Demo ist das «The Now Now» von den Gorillaz.

Der Track «Humility» beginnt zu spielen. Wenn dir der Track aber nicht passt, dann kannst du deine Hand einfach in der Luft von rechts nach links bewegen und Chris springt zum nächsten Lied. Von links nach rechts wechselt von «Tranz» wieder zu «Humility». Lauter machst du, indem du die Hand hochhältst und zurückziehst. Für leiser drückst du die Luft von hinten in Richtung Chris.

Ein Kamerasystem in der Halbkugel – benannt nach dem heiligen St. Christophorus, dem Schutzheiligen der Reisenden – erkennt deine Bewegungen und interpretiert sie. Ähnlich funktioniert das System mit Anrufen oder SMS oder der Navigation, die cloudbasiert Routen aussucht und nach aktueller Verkehrslage sortiert. WhatsApp ist noch nicht integriert, soll aber demnächst kommen.

Die fehlende Intelligenz ist Absicht

Chris ist noch nicht besonders intelligent. Wenn du der Frauenstimme ein SMS diktierst, sagen wir «Hallo, Team digitec! Wie geht's?», dann musst du im Auto sowas sagen wie «Hallo Komma Team digitec Ausrufezeichen Wie gehts Fragezeichen». Von einem Textverständnis wie bei Amazons Alexa, Siri oder Googles Assistant ist Chris noch weit entfernt. Die Sprachwiedergabe klingt auch noch roboterartig. Dafür aber funktioniert das Gerät offline. In der Schweiz ist das in ländlichen Gegenden oder auf den Bergstrassen mit all ihren Tunnels wertvoll.

Doch das muss nicht immer so bleiben. In den German Autolabs arbeiten Developer an neuen Features wie der WhatsApp-Integration. «Der Text ist einfach, aber wir arbeiten noch daran, Emojis aussprechbar und logisch zu interpretieren», sagt Weiss. Auch weitere Sprachen sollen kommen, App-Integrationen und andere Features, die dem Fahrer helfen sollen.

Chris nutzt die Ressourcen des Smartphones aus, rechnet selbst aber wenig
Chris nutzt die Ressourcen des Smartphones aus, rechnet selbst aber wenig
Quelle: Stephanie Tresch

Da die Halbkugel im Auto selbst recht wenig rechnet, sondern die Rechenkraft des Smartphones nutzt, kann sowohl die App als auch die Hardware einfach mit den Apps aktualisiert werden. Damit macht German Autolabs den wohl schlauesten Move seiner bisher zweijährigen Firmengeschichte: Das ganze System ist nicht hardwarebasiert. Es ist vielmehr ein Peripherie-Gerät, das im wesentlichen nur Daten sammelt, weiterleitet und dann interpretierte Daten ausspuckt. Diese Interpretation findet auf dem Smartphone statt. Das bedeutet, dass die Hardware der Halbkugel simpel gehalten ist und Fokus auf die Kommunikation via Bluetooth 4.2 legt. Damit liegt die technologische Stossrichtung der German Autolabs gar nicht so weit weg von der der Smartphones.

  • News & Trends

    Samsung am MWC - Angriff auf die Glasfaser, 5G und das Internet of Things

    von Dominik Bärlocher

Der Grund, weshalb Features weggelassen werden ist nicht der, dass die Chris-Entwickler das nicht können. «Wir konzentrieren uns wirklich nur auf die Fahrt im Auto», sagt Weiss. Denn er wolle, dass die Ablenkungen hinter dem Steuer weniger werden, nicht mehr. Darum ist Chris visuell unauffällig. Darum kann Chris nicht mit der heimischen Mikrowelle reden. Denn du sollst hinter dem Steuer keine Notifications eines Wetterberichts erhalten oder grosse blinkende Anzeigen sehen. Du sollst auf die Strasse blicken, nicht SMS schreiben. Den Verkehrsfluss im Auge behalten, nicht eine Animation einer Regenwolke sehen. Das sei die Mission der German Autolabs.

«Chris ist ein lebendes System», sagt Weiss, «und Features werden nach und nach hinzukommen.»

Legal in der Schweiz?

Am Stand der German Autolabs in der Halle 26 der Berliner IFA wird uns erzählt, dass Chris auch in der Schweiz erhältlich sein soll. Das Sprachenproblem könne mit genug Fleissarbeit gelöst werden, denn in der Schweiz ist es schwierig bis unmöglich ein Produkt breit vertreiben zu können, wenn es nicht Deutsch, Französisch und Italienisch spricht.

Das Problem liege, so wird mir und Videoproduzentin Stephanie Tresch am Stand gesagt, die Regelungen, die Störungen im Sichtfeld während des Autofahrens verbieten. Die Frage, die noch unbeantwortet im Raum steht: Verletzt Chris diese Vorgaben? Oder anders gefragt: Ist Chris in der Schweiz legal?

International ist die Nachfrage aber gross. Holger Weiss und sein Team am Stand wissen um die Komplexität einer chinesischen Sprachlösung, da sie mehrfach von Chinesischen Businessleuten gefragt worden sind, ob und wie Chris nach China kommt. Dazu hat die zwei Jahre alte Firma German Autolabs Chris via Kickstarter finanziert. Die Autolabs wollten 50 000 Euro, sie bekamen 278 720 Euro.

Kurz: Chris ist ein cleveres kleines Maschinchen mit viel Potenzial. Dem Personal am Stand nach zu urteilen ist das Gerät definitiv eines, das du als Vielfahrer im Auge behalten solltest und das TomTom und Co. gut Konkurrenz machen könnte.

18 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.

14 Kommentare

Avatar
later