
Hinter den Kulissen
Black Friday Week 2024: Alle Updates von Digitec Galaxus
von Jana Pense
Der Black Friday ist mehr als Schnäppchen und geleakte Listen. Der Black Friday ist eine Herausforderung für die Mitarbeiter hinter den Kassen dieser Welt. Ein Blick hinter die Kulissen des Digitec-Galaxus-Retails.
Black Friday. Freitag, 29. November 2019. Kurz vor 9 Uhr morgens scherzen die Mitarbeiter des Zürcher digitec Shops ein letztes Mal. Sobald Adrian Maier, Store Manager, die Schlüssel im Schloss umdreht, geht es los. Was die Shop-Mitarbeiter noch nicht wissen: Die Anzahl der Bestellungen liegen bei etwa 150 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Dies sind einige Geschichten der Menschen, die dir dein iPhone, deinen Fernseher oder deinen Mixer ausgehändigt haben.
Adrian Maier ist eine beeindruckende Figur im Shop. Er trägt am Black Friday einen schwarzen Anzug, schwarze Halbschuhe, ein schwarzes Hemd und eine schwarze Fliege. Das macht Eindruck und er strahlt Autorität aus.
«Black Friday: Heute sind wir alle in Schwarz unterwegs», sagt er mit lauter und deutlicher Stimme. Er zupft sich die Fliege zurecht.
Heute steht er nicht hinter der Kasse, sondern weiter vorne beim Ticket-Automaten. Denn da ist der grösste Flaschenhals. Jeder Kunde, der den Laden betritt, muss ein Ticket ziehen, dann warten. Die Regeln an jedem normalen Tag sind klar. Ein Kunde mit Bestellnummer zieht sich ein E-Ticket, nachdem er oder sie die Abholeinladung mit einem Barcode darauf eingescannt hat.
Das geht zu lange.
«Ich habe eine Bestellung gemacht aber keine Bestellbe...», sagt ein junger Mann.
«Kein Problem, nimm das und an der Kasse vorne wird das geregelt», sagt Adrian, als er fast schon automatisch ein V-Ticket für Verkaufsberatung ausdruckt und dem Mann in die Hand drückt.
«Vorne finden wir die Bestellnummer schneller als hier am Automaten», sagt Adrian und dreht sich zum nächsten Kunden um. Er fragt nach der Abholeinladung.
Elf Stunden später: Adrian hat Hunderte nach Bestellbestätigungen und Abholeinladungen gefragt, nur Pause für einen Schluck Wasser oder zwei gemacht, schnell einen Happen gegessen.
«Vielleicht habe ich mal kurz durchgeatmet, aber ich erinnere mich nur noch an Abholeinladungen», scherzt er und grinst. Auch nach elf Stunden hat er den Humor und das Volumen seiner Stimme nicht verloren.
Adrian trommelt nach der Abrechnung, dem Aufwischen und dem Schliessen der Laptops im Shop seine Mitarbeiter zusammen. Er sagt nicht mehr viel. Vor allem aber eins: «Danke.»
Caroline Maurer hat eine Sünde begangen. Am Black Friday haben die Mitarbeiter des Shops Zürich sich selbst einen Dress Code auferlegt: Schwarz. Bevor um 9 Uhr die Tür geöffnet wird, sagt ein junger Mann, dass er sogar peinlich darauf geachtet hat, dass seine Socken schwarz sind. Die Antwort: Man könne es auch übertreiben. Doch die Blicke der Shop-Mitarbeiter fallen auf die Füsse.
Pinke Schuhe. Mit Flecken und Grauschleier. Caroline ist in Erklärungsnot.
«Die habe ich erst vor zwei Wochen gewaschen und sie sehen schon wieder so aus», sagt sie. Gelächter. Aber so ganz kommt sie damit nicht davon.
Eigentlich ist die Situation recht einfach zu erklären. Denn Caroline hat sich bewusst für die modische Sünde entschieden. Ihr Job ist nicht nur das Einscannen einiger Strichcodes und Sätze wie «Das macht 269.90. Mit Karte?». Sobald ein Kunde ein E-Ticket zieht und Carolines Kasse zugewiesen wird – sie arbeitet oft an Kasse 2 –, taucht auf ihrem Bildschirm die Auftragsnummer auf, komplett mit dem Produkt, das der Kunde bestellt hat. Dazu der Ort im Lager, an dem das Produkt liegt. Sie begrüsst die Person mit dem E-Ticket, fragt nach, ob das alles sei, sagt «Ich hol das mal schnell» und geht los.
Pro normalem Arbeitstag geht sie über 12 Kilometer. Manchmal trägt sie nur ein iPhone, manchmal muss sie aber auch Hilfe holen, um ein Fernsehgerät auf einen Trolley zu laden.
«Zwei Dinge sind hier wichtig: Eine Flasche Wasser ohne Kohlensäure unter der Kasse und bequeme Schuhe», sagt Caroline.
Ihre Mutter hat zwar gesagt, dass sie ihre teuren schwarzen Halbschuhe ausleihen dürfe. Denn schwarz in schwarz habe schon was. Caroline hat gelacht. Laufschuhe gehören zum Outfit in allen digitec Shops der Schweiz. Sie müssen bequem und funktional sein. Schwarz? Wenn gerade möglich.
«Auf gar keinen Fall hätte ich die Halbschuhe angezogen», sagt sie. Am Black Friday sind 12 Kilometer das Minimum. Mit der erhöhten Anzahl Bestellungen, dem Zeitdruck und dem überfüllten Lager, sei es von grösster Wichtigkeit, dass sie sich keine Sorgen um ihr eigenes Wohlbefinden machen muss.
Elf Stunden und ein paar Flaschen Valser-Wasser später kann sich Caroline hinsetzen. Durchatmen. In ihrer Hand: Eine Flasche Wasser. Sie hebt die Füsse nur schnell, damit der Besen unter ihnen durchwischen kann. Die Kunden, die über 5000 Produkte an einem Tag abgeholt haben, manchmal auch warten mussten, haben ihre Spuren hinterlassen.
Während Adrian und Caroline vorne die Kunden bedienen, Troubleshooting betreiben, wo nötig, füllt ein Geräusch das Lager des Zürcher Shops: «Piep». Das ist das Geräusch, dass die Barcode Scanner machen, wenn ein Produkt eingebucht wird. Das Gerät piept mindestens zweimal pro Produkt. Einmal der Barcode des Produkt selbst. Dann der Barcode des Regals. Die Daten werden dem System übergeben und wenn Caroline vorne ein E-Ticket bedient, weiss sie, wo sie das Produkt abholen muss.
Damit das Piepen nicht aufhört und nicht langsamer wird, hat einer die Leitung des Lagers übernommen, das sonst automatisch funktioniert: Thomas Lerch.
Der Berner, der sich sein Kantonswappen auf die Schulter hat tätowieren lassen, blickt um 9 Uhr in ein «verhältnismässig leeres» Lager.
«Noch ist das ordentlich. Das kann nur schlimmer werden», sagt er. Mit dem Statement schwingt Humor, aber auch Sorge mit. Er weiss in etwa, wie viele Lastwagenladungen heute durch sein Lager gehen werden. Die Leute, welche die über 5000 Produkte gekauft haben, wird er nie sehen. Er ist dafür verantwortlich, dass alles möglichst schnell und effizient eingelagert wird. Kundenkontakt hat er dann an einem anderen Tag wieder.
«An einem normalen Arbeitstag kommen zwei Trucks. Heute rechnen wir mit fünf bis sieben.»
Gegen Nachmittag bemerkt er die Menge. Die Regale sind gefüllt. iPhones werden in Kisten eingelagert, die halb im Gang stehen. Andere Produkte bleiben in Gitterwägen stehen. Die Barcode Scanner und das System dahinter können damit umgehen, aber Thomas und seine Crew machen Verkehrsplanung. Wie schaffen sie es, dass die Gänge möglichst breit bleiben, damit ein Trolley mit einem Fernseher nach wie vor durch kommt und die Mitarbeiter vorne möglichst kurze Wege haben?
Dazwischen das Piepen der Scanner. Denn das Geräusch darf nicht aufhören.
«Sobald hier kein Piepen mehr ist, haben wir entweder ein grosses Problem oder Feierabend», sagt Thomas.
Der kommt dann nach elf Stunden. Die Scanner werden wieder aufgeladen, Thomas trinkt einen Schluck Wasser. Sein Black Friday Job ist getan. Zeit, auch seine Batterien wieder aufzuladen. Denn am Samstag gibt Thomas folgende Information an die Mannschaft im Lager weiter: Zwei bis drei Lastwagen mit etwa 3000 Produkten sind auf dem Weg.
«Wenn dies das erste Mal Black Friday ist… das wird anstrengend, aber ihr kennt euren Job», sagt Adrian Maier am Morgen. Eine, der er das nicht sagen muss, ist Angela Mare. Die Südländerin fällt im Shop auf. Sie hat den linken Arm tätowiert und ihr Markenzeichen ist der auffällige Eyeliner, der ihre braunen Augen umrahmt.
Dieser Black Friday ist ihr letzter in der Filiale Zürich. Vor Monaten hat sie die Kündigung eingereicht. Sie hätte sich eigentlich entschuldigen können. Sie hätte nicht am Black Friday hinter der Kasse – sie mag Kasse 12 – stehen müssen. Doch sie hat sich ein letztes Mal die schwarzen Sneaker angezogen, loggt sich kurz vor 9 Uhr ein letztes Mal ein.
«Traurig? Klar bin ich traurig», sagt sie und zeigt auf die elf Kassen, an denen ihre Kollegen sich parat machen und blickt zu Adrian am Ticketautomaten, «Wie kann ich diese Leute verlassen, ohne traurig zu sein?»
Das Leben spielt halt manchmal anders. Sie bleibt zwar im Verkauf, aber nicht mehr im digitec Shop.
Die ersten Tickets werden ausgedruckt. Eine Frau steuert auf sie zu. Angela lacht breit und sagt «Hoi» mit langezogenem O und fragt, was es denn sein darf. Im Laufe des Tages kann sie ihren Job Revue passieren lassen. Praktisch jeden Fall, den sie in den vergangenen Jahren hatte, kommt heute wieder. Aber halt schneller. Abgelehnte Karten, Ausweiskontrollen, «Ich hol das für meine Freundin ab»,«Wie soll ich das in mein Auto kriegen?» und noch viel mehr.
Angela meistert das, denkt nicht an den Feierabend. Ihren letzten.
Elf Stunden später dreht Adrian den Schlüssel im Schloss der Zürcher Filiale und es wird aufgewischt. Angela wird still.
Adrian beendet den Tag. Er bedankt sich beim Team und verteilt Guetzli, die er extra für seine Mitarbeiter hat backen lassen. Das gehöre dazu. Dann bedankt er sich bei Angela persönlich. Applaus von den Leuten in Schwarz. Eine der ihren geht.
Angela zieht sich die schwarze Winterjacke mit Kunstpelzbesatz an. Ihr letzter Gang.
Feierabend.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.