

Onyx Boox Palma 2 im Test: Top E-Reader, mieses Mini-Tablet

Das Onyx Boox Palma 2 erweist sich im Test als ausgezeichneter E-Book-Reader im Smartphone-Format. Trotz des Android-Betriebssystems ist es jedoch kein Ersatz für ein Tablet oder Handy.
Das klingt vielversprechend: Das Onyx Boox Palma 2 ist ein E-Reader im Smartphone-Format, auf dem du jede Android-App verwenden kannst. Mit dem Schlagwort «Pure Living, Focused Mind» wirbt der Hersteller auf der Webseite. Meine hohen Erwartungen erhalten bereits bei der Installation einen massiven Dämpfer. Ich sitze ungläubig am Bürotisch und scrolle mich durch 190 Länder auf einer Liste.
Die Wahl des eigenen Standorts dauert bei einem Handy ein paar Sekunden. Bei diesem Testgerät fühle ich mich zurückversetzt in die Zeit der ersten Touchscreens. Auf dem E-Ink-Display kann ich nicht richtig scrollen, es ist mehr: blättern, warten, blättern, warten … Und dann ist die Schweiz auch noch so weit unten in der Liste.
Das soll jetzt Fortschritt sein? Die Entschleunigung des digitalen Lebens besteht darin, dass jede Eingabe doppelt so lange dauert wie auf einem normalen Touchscreen?
Sieht aus wie ein Smartphone, ist aber keines
Das Problem sind die Erwartungen, die das Gerät weckt: Das Onyx Boox Palma 2 sieht nicht nur aus wie ein Smartphone, es ist auch das Handy-Betriebssystem Android 13 installiert. Dank Google Playstore kann ich jede beliebige App herunterladen.

Der Unterschied zu den sonstigen Android-Geräten: Statt eines farbigen OLED-Displays hat der Palma 2 ein monochromes E-Ink-Display, wie es bei einem E-Book-Reader üblich ist. Der Screen hat eine Diagonale von 6,1 Zoll, eine typische Smartphone-Grösse.
Wer mit dem Onyx Boox Palma 2 sein Smartphone ersetzen will, wird enttäuscht. Das Gerät hat keinen SIM-Karten-Slot. Ich habe unterwegs keine Internetverbindung und kann nicht direkt über das Mobilfunknetz telefonieren. Anwendungen wie WhatsApp, die eine SIM-Karte benötigen, funktionieren nicht. Das Gerät ist also eher mit einem kleinen Tablet vergleichbar als mit einem Smartphone.
Die Stärken der E-Ink-Technik
Ich war skeptisch, ob der Screen nicht zu klein ist, um darauf ganze Bücher zu lesen. Aber das geht wunderbar. Die Schriftgrösse, die Helligkeit der Hintergrundbeleuchtung und die Farbtemperatur – von kaltem bis zu gelblichwarmem Weiss – passe ich direkt im Kontrollzentrum meinen eigenen Vorlieben an.

Den grösseren Bildschirm konventioneller E-Book-Reader vermisse ich nicht. Stattdessen freue ich mich, dass ich nur 170 Gramm Gewicht in den Händen halte. Das Gerät ist so kompakt, dass ich eine ganze Bibliothek in der Hosentasche mittragen kann. 128 GB Speicher sind eingebaut, dieser kann mit einer microSD-Speicherkarte erweitert werden.
Sobald auf dem Display Text zu sehen ist, spielt das Gerät seine Qualitäten aus. Das kann ein E-Book sein, aber auch Mails, Dokumente, Webseiten oder Apps lese ich auf dem Palma 2 lieber als auf dem normalen Smartphone.

Bewegung ist der Endgegner für den Screen
Die eingesetzte E-Ink-Technik hat aber auch grosse Nachteile – und die fehlende Farbdarstellung ist da das kleinste Problem. Die Reaktionszeit des Bildschirms ist im Vergleich zu den normalen Touchscreens eines Handys oder Tablets eine Katastrophe. Das merke ich nicht nur bei der Installation, sondern fast überall in den Menüs und den Apps.
Diese sind auf Scrollen und Wischen ausgelegt. Beides ist mühsam, weil der Finger viel schneller ist als der Bildschirm – und weil ich solche Verzögerungen nicht gewohnt bin. Schlimmer noch: Optisch wirkt es oft wie «Ghosting», also dass Inhalte bei Bewegungen verschmieren.

In den Einstellungen kannst du die Aktualisierungsrate des Bildschirms verändern und damit die Darstellung fürs Scrollen verbessern. Praktischerweise lässt sich jeder App eine der fünf Stufen zuweisen.
Ein Problem bleibt: Je flüssiger Bewegungen dargestellt werden, desto unschärfer und detailarmer stellt der Bildschirm Text dar. Das ist bei Webseiten und Mails ein Dilemma: Entweder ist die Darstellung optimal, um zu navigieren, oder um Texte zu lesen. Ich habe im Test dann meistens eine der mittleren Stufen gewählt – also einen Kompromiss.

Der Hersteller wirbt mit dem Slogan «Unmatched Speed, Never Seen on ePaper». Tatsächlich ist der Screen viel schneller als bei konventionellen Readern. Für viele Apps reicht das aber trotzdem nicht aus.
Diese Apps kann ich nutzen, will es aber nicht
Dank Android-System und Google-Store kann ich alle meine Apps auf dem Gerät installieren. Viele sind leider kaum brauchbar. Bei Bildern und Grafiken fehlt nicht nur die Farbe, sondern auch der Kontrast. Zudem werden im vorinstallierten Browser häufig Fotos auf Webseiten gar nicht geladen.
Und ja, ich habe sogar versucht, ein Youtube-Video zu schauen. Das lässt sich problemlos abspielen, das Onyx Boox Palma 2 hat sogar Lautsprecher eingebaut. Die Bildqualität ist mies, das Video ruckelt – einmal zu Testzwecken habe ich das ausprobiert und danach nie wieder.
Im Video siehst du, wie ein Youtube-Clip in der bestmöglichen Einstellung abgespielt wird. Zudem swipe ich im Menü umher und starte Apps. Die Verzögerungen sind gut zu sehen.
Dasselbe gilt auch für Games: Je mehr Grafik, je mehr Bewegung, je mehr präzise Toucheingaben, desto weniger Spass machen sie auf dem Screen. «Candy Crush» lässt sich einigermassen spielen, «Sonic the Hedgehog» habe ich nach wenigen Minuten wieder deinstalliert.
Bei all diesen Apps stellt sich die Frage: Warum sollte ich sie auf dem Onyx Boox Palma 2 überhaupt nutzen? Jedes noch so günstige Smartphone – und die gibt es schon ab 50 bis 100 Franken – ist dafür besser geeignet.

Darum ist Android doch kein Fehler
Die Wahl des Betriebssystems ist trotzdem sinnvoll. Dank Android kann ich alle E-Book-Apps installieren, die im Store vorhanden sind. So nutze ich beispielsweise die App von Tolino und von Kindle gleichzeitig und bin nicht auf einen Anbieter beschränkt. Dazu habe ich Zugriff auf einen Store von Onyx mit einem Gratisangebot an englischsprachigen Klassikern.
Dokumente und E-Books kann ich herunterladen, per Kabel oder – dank Android – auch per Clouddienst aufs Gerät übertragen. Boox unterstützt dabei rund zwanzig verschiedene Formate, darunter PDF, EPUB, RTF, DOC oder CBR/CBZ (für Comics und Mangas).
Gute Akkulaufzeit und Vollausstattung
Im Test hat der Akku mit knapp 4000 mAh rund 10 Tage gehalten. Dabei habe ich aber nicht nur E-Books gelesen, sondern bin durchs Web gescrollt, habe Apps installiert, Games gezockt und Videos geschaut – und das bei eingeschalteter Hintergrundbeleuchtung.
Nutzt du das Gerät als E-Book-Reader und schaltest WLAN und Hintergrundbeleuchtung nur bei Bedarf an, sind zwei bis drei Wochen Laufzeit durchaus realistisch.
Der Hersteller zieht das Konzept bis zum bitteren Ende durch. So hat das Gerät einen Fingerabdruckscanner an der Seite, der ähnlich träge reagiert wie die Passworteingabe auf dem E-Ink-Display.
Auf der Rückseite ist gar eine Kamera mit 16-Megapixel-Sensor zu finden. Diese ist allerdings primär dafür gedacht, Dokumente zu scannen und nicht, um Fotos zu knipsen. Das merkst du spätestens dann, wenn du dir die Resultate der Schnappschüsse ansiehst. Ich habe kein scharfes Bild hingekriegt.

Erhofft hatte ich mir vom Onyx Boox Palma 2 einen Ersatz für Tablet und E-Book-Reader. Ein Gerät für den entschleunigten digitalen Alltag, das für alle Anwendungen taugt. Erhalten habe ich einen guten E-Book-Reader, der zwar alles kann, aber vieles so schlecht, dass ich es gar nicht nutzen will.
Fazit
Nur als E-Book-Reader überzeugend
Nutzt du den Onyx Boox Palma 2 als kompakten E-Book-Reader im Hosentaschenformat, kann er seine Stärken voll ausspielen. Dank Android-Betriebssystem lassen sich beliebige Bücher-Apps und Formate parallel nutzen – du bist nicht auf einen Anbieter beschränkt.
Auch längere Texte auf Webseiten, in Dokumenten und Mails liest du mit dem Gerät sehr bequem. Übrigens ist der 6,1-Zoll-Screen keineswegs zu klein. Ich fand die Grösse im Test genauso angenehm wie die klassischer E-Book-Reader mit sieben bis zehn Zoll Bildschirmdiagonale.
Willst du mit dem Palma 2 das Tablet oder gar das Smartphone ersetzen, wirst du enttäuscht sein. Der Monochrom-Bildschirm ist dabei das kleinste Problem: Den Bildern fehlen Kontrast und Auflösung, Videos ruckeln, der Touchscreen ist träge, das Navigieren mit aufs Scrollen ausgelegten Apps ist langsam und unangenehm.
Pro
- kompakte Bauweise
- unzählige E-Book-Apps und Formate nutzbar
- Android-System mit voller Funktionalität
- gute Akkulaufzeit
Contra
- Screen für Apps und Android oft zu träge
- hoher Preis für einen kleinen Reader
- unnötige Features wie Kamera oder Fingerabdruckscanner
- kein SIM-Karten-Slot



Gadgets sind meine Passion – egal ob man sie für Homeoffice, Haushalt, Smart Home, Sport oder Vergnügen braucht. Oder natürlich auch fürs grosse Hobby neben der Familie, nämlich fürs Angeln.