Hintergrund

Neuer Trend: Alte Kameras bleiben lange erhältlich

David Lee
20.10.2020

Alte Kameras bleiben länger im Handel als früher. Die Hersteller bieten sie als günstige Alternative zu den aktuellen Modellen an. Das sagt einiges über das Innovationstempo und -niveau aus.

Zwischen einem und vier Jahren dauert es normalerweise, bis ein neues Kameramodell das alte ersetzt. Dieses bleibt danach eine Zeit lang vergünstigt erhältlich, bevor es aus den Regalen verschwindet. So war es die längste Zeit im Digitalkameramarkt.

Doch die Zeiten ändern sich. Kameras im Laden, die es seit mehr als drei Jahren gibt, sind nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

Von der Sony RX100 gibt es mittlerweile sieben Generationen. Oder sogar acht, wenn ich die RX100 VA dazu zähle. Sie ist ein Zwischending zwischen der fünften und der sechsten Generation. Selbst das allererste Modell aus dem Jahr 2012 ist nach wie vor neu erhältlich.

Vor zehn Jahren wäre das völlig undenkbar gewesen. Hättest du 2010 versucht, eine Kamera aus dem Jahr 2002 zum halben Ursprungspreis loszuwerden, hätte man dich ausgelacht. Heute geht das problemlos.

Das zeigt, dass sich die technische Entwicklung verlangsamt hat. Vor allem aber finden Verbesserungen heute auf einem so hohen Niveau statt, dass sie nicht mehr unbedingt gebraucht werden. Das war von zehn Jahren noch völlig anders.

Bei der RX100 zum Beispiel haben alle eine Auflösung von 20 Megapixeln. Das hat sich in den acht Jahren um kein einziges Pixel verändert.

Es gibt natürlich immer noch Leute, die das Neueste und Beste haben müssen. Doch diese Gruppe wird immer kleiner. Die neuen Modelle sind Nischenprodukte und entsprechend teuer. Je kleiner die Stückzahlen, desto teurer die Produktion. In der Schweiz verkaufen sich zwar die neuen und teuren Geräte recht gut, aber die Schweiz ist eine Ausnahme und im globalen Markt unbedeutend.

Systemkameras: Opa fixt Neukunden an

Sony lässt auch die erste Alpha 7 immer noch produzieren. Sie stammt aus dem Jahr 2013.

Hier scheint mir der Grund offensichtlich. Das alte Modell dient dazu, neue Kunden mit einem günstigen Angebot ins System zu locken. Spiegellose Vollformatkameras aus dem Jahr 2020 sind sehr viel teurer.

Mit einem veralteten, aber günstigen Modell kann Sony insbesondere Canon und Nikon das Wasser abgraben. Denn die beiden können diese Strategie nicht kopieren. Canon und Nikon sind erst seit 2018 im Business der spiegellosen Vollformatkameras drin und haben deshalb gar keine alten Modelle.

Canon hat die EOS RP herausgebracht, die ebenfalls günstig ist. Bei Nikon fehlt ein Modell in dieser Preisklasse bis jetzt. Die Nikon Z 50 würde vom Preis her passen, ist aber keine Vollformatkamera.

Die andern tun es auch

Dem Trend, alte Kameras weiter anzubieten, folgen auch andere Hersteller. Als 2017 die Fujifilm X-T2 herauskam, verschwand die X-T1 aus dem Laden. Bei Erscheinen der X-T3 blieb jedoch der Vorgänger im Handel. Mittlerweile haben wir die X-T4, und der Vorvorgänger ist noch immer erhältlich.

Bei den Spiegelreflexkameras finden sich ebenfalls sehr alte Modelle, die du noch immer neu kaufen kannst. Das erste Exemplar der Nikon D750 verkaufte digitec am 10. Oktober 2014 für 3085 Franken. Sechs Jahre später ist die Kamera immer noch lieferbar – und wird auch tatsächlich immer noch gekauft.

Ob es von diesen Modellen überhaupt jemals einen Nachfolger geben wird, ist fraglich. Die Entwicklung bei den Spiegelreflexkameras wird sich verlangsamen, die Hersteller werden ihre Ressourcen primär in die Herstellung der spiegellosen Systeme stecken.

Firmware-Updates verlängern die Lebensdauer

Durch Firmware-Updates können nicht nur Fehler behoben, sondern auch Funktionen nachgereicht oder verbessert werden. Dadurch veraltet die Kamera weniger schnell. Aktuell betrifft dies vor allem den Autofokus.

Ganz unproblematisch ist der Trend zu mehr Updates nicht. Ich denke, man muss hier zwei Fälle unterscheiden. Kündigt ein Hersteller bei einer brandneuen Kamera ein Firmware-Update an, heisst das für mich, dass er mit der Entwicklung in Verzug ist. Dieses Vorgehen hat keinen Applaus verdient. Anders sieht es aus, wenn ein Hersteller seine jahrealten Kameras immer noch mit funktionalen Updates am Leben hält.

Die Preise

Die älteren Kameras sind natürlich günstiger als die neuen. Das liegt aber nur teilweise daran, dass sie im Lauf der Zeit im Preis fallen. Sondern auch daran, dass die neueren Kameras bei der Einführung schon teurer sind als früher.

Hier mal die Preise der RX100-Modelle bei Markteinführung. Da ich zu den empfohlenen Verkaufspreisen (UVP) nicht immer eindeutige Angaben habe, nehme ich jeweils den Preis des ersten verkauften Geräts bei Digitec Galaxus AG.

Auch wenn II und VII tiefer liegen als das Vorgängermodell: Der Trend ist eindeutig.

Kaufen oder nicht kaufen?

Ist es sinnvoll, eine Kamera zu kaufen, die schon ab Werk um mehrere Jahre veraltet ist? Das kommt ganz auf deine Ansprüche, dein Budget und vor allem auch auf deinen Verwendungszweck an.

Ich habe Anfang 2020 einen Beitrag dazu geschrieben, in welchen Bereichen die Entwicklung schnell vorangeht und in welchen nicht. Kurzzusammenfassung: Bei Video und Autofokus verändert sich derzeit am meisten. Beim Autofokus geht es vor allem um die Motiverkennung mittels künstlicher Intelligenz. Das ist vor allem bei der Sport- und Tierfotografie wichtig.

Wenn dich diese Bereiche besonders interessieren, solltest du nicht zu einem älteren Modell greifen. Bei Sport- und Tierfotografie kommt dich das Hobby ohnehin verdammt teuer zu stehen, wenn du gute Ergebnisse willst. Du brauchst nicht nur eine schnelle und gute Kamera, sondern auch richtig teure Objektive. Es wäre also auch Verhältnisblödsinn, bei der Kamera zu sparen, indem du auf alte Technologie setzt.

Bei Landschaftsaufnahmen sehe ich kein Problem mit älteren Modellen. Makros und Porträts müssten ebenfalls gehen, da kommt es viel mehr aufs Objektiv an. Bei Porträts könnte allenfalls der fehlende Augen-Autofokus etwas stören.

Übrigens: Die Kamera mit dem längsten Lebenszyklus ist wahrscheinlich die Analogkamera Nikon F6 von 2004. Sie gehört immer noch zum offiziellen Line-Up von Nikon wurde erst kürzlich aus dem offiziellen Line-up von Nikon gestrichen.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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